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Tipps zum Umgang mit der eigenen Hochsensibilität

Ruhe statt Reizüberflutung: Hochsensible Menschen nehmen die Welt intensiver wahr. Dazu zu stehen, fällt vielen schwer. Dabei ist Hochsensibilität kein Makel – und einige Kniffe können den Alltag erleichtern.

Das Gespräch am Nebentisch im Restaurant, das Tippen des Arbeitskollegen auf der Tastatur, die gedrückte Stimmung der Freundin – jeder Fünfte nimmt solche und ähnliche Reize intensiv und ungefiltert wahr. Dadurch fühlen sich hochsensible Menschen schnell erschöpft und überreizt. Buchautorin Nina Brach und Coachin Nina Payer geben Tipps, wie Betroffene mit ihrem besonderen Gespür besser durch den Alltag kommen:

: Hochsensibilität braucht laut Payer keine Therapie oder Behandlung. Dennoch sollte man sich mit diesem Persönlichkeitsmerkmal befassen – etwa Bücher zum Thema lesen – und den eigenen Alltag entsprechend anpassen.

: Der Wocheneinkauf schon am Dienstagvormittag, häufiges Arbeiten im Homeoffice statt im Großraumbüro, das Gerätetraining im Fitnessstudio zu einer wenig frequentierten Zeit – es gibt viele Möglichkeiten, sich im Alltag reiz-vollen Umgebungen zu entziehen.

: Coachin Payer rät, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und sich zu erlauben, diese – wann immer möglich – auch zu leben. Das gilt ebenso für die eigenen Grenzen, über sich die feinfühlige Menschen nicht hinwegsetzen sollten. “Sich anzupassen funktioniert vielleicht für eine gewisse Zeit, endet aber immer in Erschöpfung und führt auf lange Sicht in den Burnout”.

: Menschen mit Hochsensibilität haben es oft schwer, einem anders empfindenden Umfeld ihre besondere Empfindsamkeit zu erklären. Buchautorin Brach vergleicht diese Fähigkeit mit einem fehlenden Filter oder “Türsteher”, wodurch alle Sinnesreize und Informationen das Gehirn ungestört erreichen – und schnell überstimulieren. Besser als das Gegenüber von der eigenen Hochsensibilität überzeugen zu wollen sei es, pragmatische Lösungen für den Alltag zu finden.

Weil Betroffene noch immer Unverständnis ernten, rät Brach, genau zu überlegen, welche Menschen man überhaupt in seine Feinfühligkeit einweiht.

: Durch die ungefiltert eingehenden Reize fühlen sich hochsensible Menschen schneller erschöpft und haben ein größeres Ruhebedürfnis. Um wieder zu Kräften zu kommen, sind regelmäßige Auszeiten wichtig. Betroffene sollten sich für sie passende Strategien der Reizverarbeitung zuzulegen – “egal, ob andere sie nachvollziehen können oder nicht”, sagt Brach.

: Tiefe Bauchatmung, Progressive Muskelentspannung oder das Hören von angenehmer Musik und sanften Naturgeräuschen – etwa Regen oder Vogelgezwitscher – können beim Entspannen helfen, ebenso tägliche Tuchfühlung mit der Natur. Bei geräuschsensiblen Menschen können nach Beobachtung von Brach schon Ohrstöpsel ein “Gamechanger” sein. Auch Aromatherapie und eine Gewichtsdecke können überreizte Nerven beruhigen.

: Nach Momenten von Anspannung oder Überforderung sollte das Nervensystem wieder in den Ruhe- und Entspannungsmodus zurückfinden. Für Payer geht es “nicht darum, Stress komplett zu vermeiden, sondern darum, wie gut wir nach Belastung wieder in unsere innere Balance zurückkehren können”.

Brach rät, sich “proaktiv” auf stressige Situationen wie eine Präsentation oder eine Familienfeier vorzubereiten: Durch Sport oder eine kleine Auszeit in der Natur kann man vorab gut für sich sorgen und sich dann potenziell anstrengenden Situationen “möglichst ausgeruht und aufgeladen” stellen.

: Eintönige Hintergrundgeräusche wie Regen, Meeresrauschen oder Vogelstimmen können helfen, sich bei der Arbeit besser zu konzentrieren. Diese sogenannten White Noises – weißes Rauschen – stimulieren das Gehirn sanft und unterschwellig; andere störende Geräusche können so ausgeblendet werden. Solche angenehmen Sounds sind auch online zu finden.

: Menschen mit Hochsensibilität sind aufgrund ihrer Reizempfänglichkeit leicht ablenkbar, werden aber auch von neuen Reizen positiv stimuliert. Statt sich zu zwingen, an einer Aufgabe festzuhalten – und sich möglicherweise in eine Blockade zu manövrieren -, können sie versuchen, ihre Arbeit in kleinere Einheiten aufzuteilen und sich so abwechselnd mit verschiedenen Tätigkeiten befassen, sagt Brach.

: “Ruhe im Außen führt zu Ruhe im Innen”, beobachtet Brach. Aufgrund ihrer hohen Empfänglichkeit brauchen Hochsensible “einen “Rückzugsort zum Auftanken, Runterfahren, Regulieren”. Dieser Ort sollte deshalb wenig Stimuli bieten, damit das Gehirn “nicht von 1.000 herumliegenden Sachen permanent aktiviert” wird.

: Große Begeisterungsfähigkeit, kreatives und vorausschauendes Denken, gute Intuition und der Blick für Zusammenhänge – welcher Chef wünscht sich das nicht von seinen Mitarbeitenden? Payer bedauert, dass das Thema Hochsensibilität noch nicht bei Arbeitgebern und in der Gesellschaft angekommen sei. Hochsensible Menschen wechselten im Laufe ihres Lebens oft mehrfach den Arbeitgeber oder sogar die Branche, um den für sich stimmigsten Arbeitsplatz zu finden.