Trauma und Kontrollverlust: In der amerikanischen Hauptstadt Washington suchen mehr Menschen psychologische Unterstützung. Viele fühlen sich von Regierung und Gesellschaft offenbar alleingelassen.
Riesige Unsicherheit: Die Psychotherapeutin Vinita Mehta beobachtet eine steigende Nachfrage nach Therapieplätzen in der US-Hauptstadt Washington. Sie sei sicher, dass es noch mehr Anfragen gäbe, “wenn nicht so viele Menschen gerade ihre Krankenversicherung verloren oder Angst vor so einem Verlust hätten”, sagte Mehta im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Juni-Ausgabe). Besonders betroffen seien Menschen mit Missbrauchserfahrungen oder auch Mitarbeitende von Ministerien und Behörden, die sich bei der Arbeit überwacht fühlten.
Als Therapeutin frage sie ihre Patientinnen und Patienten stets, ob diese ihre eigene Reaktion als angemessen erlebten. Häufig laute die Antwort: “Na ja, vermutlich mache ich da aus einer Mücke einen Elefanten.” Genau dies sehe sie derzeit nicht, so Mehta: “Die Sorgen scheinen mir nicht übertrieben zu sein.” In den Therapiestunden gehe es viel um Politik: “Manche können über gar nichts anderes mehr sprechen, was verständlich ist. Viele haben Kolleginnen oder sogar ihr ganzen Team verloren.”
Psychotherapeutinnen und -therapeuten seien für “existenzielle Situationen wie den Zusammenbruch der Demokratie” nicht ausgebildet, fügte die Expertin hinzu. Schon seit einigen Jahren meldeten sich bei ihr Menschen, die nicht an klassischen Angststörungen oder Depressionen litten, sondern etwa nicht aufhören könnten, über die Auswirkungen des Klimawandels nachzudenken. Psychotherapie könne hilfreich sein, aber diese Themen erforderten eine kollektive Antwort.
Manche Fachleute beschrieben Selbstfürsorge als Akt des Widerstandes, sagte Mehta. Entscheidend sei die Frage, was man selbst kontrollieren und tun könne. Sie erinnerte an die Terroranschläge am 11. September 2001: Damals sei es für Kinder sehr beängstigend gewesen, “wie ihre Eltern und überhaupt die Erwachsenen die Kontrolle verloren haben”. Die Psychotherapie habe Familien helfen können, das Mögliche wieder in die Hand zu nehmen.
Auch heute wollten viele Menschen etwas tun, wüssten aber nicht recht, was. Daher brauche es Gemeinschaft und eine Form von Opposition, erklärte die Therapeutin. Viele hätten zwar Anspannung und Spaltung von der zweiten Amtszeit des Präsidenten Donald Trump erwartet, doch tatsächlich begonnen habe eine “entfesselte Politik, mit der die meisten so nicht gerechnet hatten”.