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Streitet euch!

Andacht über den Predigttext der Ökumenischen Friedensdekade: Jeremia 22, 1-5

Predigttext
1 So sagt Gott: Geh in den Palast des Königs von Juda. Dort sollst du dieses Wort sprechen: 2 Höre das Wort Gottes, du König von Juda, der du auf Davids Thron sitzt. Höre du, deine Gefolgschaft, und dein Volk, das durch diese Tore geht. 3 So sagt Gott: Handelt nach Recht und Gerechtigkeit! Rettet die Geschundenen aus der Hand der Gewalttätigen! Ortsfremde, Waisen und Witwen gängelt und misshandelt nicht. Vergießt kein unschuldiges Blut an diesem Ort. 4 Wenn ihr diesem Wort gewissenhaft Folge leistet, werden durch die Tore dieses Palastes Könige einziehen, die in der Nachfolge Davids auf seinem Thron sitzen und mit Wagen und Pferden fahren, sie, ihre Gefolgschaft und ihr Volk. 5 Wenn ihr aber auf diese Worte nicht hört, dann, so habe ich bei mir geschworen, – so Gottes Spruch – wird dieser Palast zum Trümmerhaufen.
(Bibel in gerechter Sprache)

Streit“ ist das Thema der diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade. Der prophetische Text ist ein eindrückliches Beispiel für die vielen Texte in der Bibel, die schonungslos von heftigem Streit berichten, oft ausgelöst durch die provozierend klaren Worte, die Prophetinnen und Propheten im Namen Gottes verkünden.
Unrecht und Gewalt schienen zu Zeiten der Hebräischen Bibel ein Grundphänomen menschlicher Existenz zu sein. Dem widersetzt sich der Gott Israels.
Gerechtigkeit bedeutet in der Hebräischen Bibel: Gott ergreift Partei, rückt die Verhältnisse zurecht für die, die kein Recht bekommen.  Gerechtigkeit erfahren Menschen, Gerechtigkeit erfährt das Land und Gerechtigkeit erfahren Völker. Sie sollen bekommen, was notwendig ist.
Jeder Mensch, jedes Kind, jede Frau, jeder Mann braucht die ihm oder ihr angemessenen Lebensbedingungen. Das heißt Gerechtigkeit.
Wir wissen um den Zusammenhang zwischen Ausbeutung der Natur, Klimawandel, ungerechten Wirtschaftsbeziehungen, Waffenexporten und den Folgen: Zerstörung der Lebensgrundlagen, gewaltsame Auseinandersetzungen, Anwachsen radikaler Terrorgruppen, Trümmerhaufen für ganze Völker und Regionen der Erde – Zerstörungen, an denen wir beteiligt sind und die uns zunehmend selbst treffen!
Gerechtigkeit geschieht. Menschen erleben, dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt, wenn „die Geschundenen aus der Hand der Gewalttätigen gerettet werden, Ortsfremde, Waisen und Witwen nicht gegängelt und misshandelt werden, kein unschuldiges Blut vergossen wird.“ (Vers 3).
Das sind klare Worte, auch hier und jetzt für uns als Kirche und Gemeinden in der Nachfolge Christi. Menschen, die das versuchen zu leben, lösen Streit aus. Das sind auch klare Worte für eine Demokratie, der es um Recht und Gerechtigkeit für alle Menschen weltweit, nicht nur um die Eigeninteressen der eigenen Nation geht. Darum muss gestritten werden – und zwar so, dass der Weg das Ziel nicht verdunkelt, also ohne Verachtung, Hass oder Gewalt gegenüber Menschen, mit denen ich streite, aber leidenschaftlich, klar und kompetent in der Sache.
„Wenn ihr aber auf diese Worte nicht hört, dann, so habe ich bei mir geschworen, – so Gottes Spruch – wird dieser Palast zum Trümmerhaufen.“ (Vers 5): Um diese Perspektive geht es. Deshalb lohnt es, zu streiten.
Streiten für die Demokratie – statt sie schlechtzureden.
Streiten für ein mutiges Klären komplexer Zusammenhänge und Lösungswege – statt populistischer Lösungsvorschläge für drängende aktuelle Probleme.
Streiten für den Abbau von Rüstungsproduktion und -export – statt Lieferung von Waffen an Diktaturen.
Streiten für eine menschenwürdige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik – statt  brutaler Abschottung.
Streiten für eine vorausschauende Krisenprävention – statt Kriegseinsätze als ‚ultima ratio‘,  weil es angeblich nun keine andere Lösung mehr gibt.
Streiten für ein ganzheitliches Verständnis von Sicherheit, das gute Lebensbedingungen für alle Menschen umfasst – statt eine militärisch durch Aufrüstung garantierte, angebliche Sicherheit nationaler Interessen.
Streiten für Gewaltfreiheit in allen Beziehungen, in der Politik, zwischen Nationen und Menschen, gegenüber der Natur – statt weiterhin Gewalt, Ausbeutung von Mensch und Natur  zu rechtfertigen.
Streiten für… ach ja, es gibt so vieles, für das wir dringend streiten müssen und das wir dringend angehen müssen, wenn wir nach „Recht und Gerechtigkeit handeln“ wollen.
Denn es geht um Streiten – und es geht um Handeln, jede und jeder nach ihren und seinen Möglichkeiten! Und die sind nicht so begrenzt, wie wir oft meinen!