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Stilisiertes Kammerspiel mit wenig Entwicklung im Ersten

Als Johanna ihre verwitwete Mutter besucht, stellt die ihr ihren neuen, halb so alten Freund vor. Die Tochter wittert einen Heiratsschwindler, schnüffelt in Philipps Vergangenheit herum. Eine filmische Versuchsanordnung.

“Mit euch beiden ist jeder Abend wie ‘ne Freifahrt ins Irrenhaus, nur schmerzvoller – wie ne Austreibung!”, so formuliert es Philipp irgendwann gegenüber Henriette und Johanna. Tatsächlich ist besagter Abend der erste, den der junge Mann gemeinsam mit dem Mutter-Tochter-Gespann verbringt. Der aber hat es durchaus in sich: Da wird verletzt, beleidigt, gezündelt und bespitzelt, was das Zeug hält – und am Ende gar ein Mordkomplott geschmiedet. Dazu fließt literweise (teurer) Alkohol.

Dabei hatte alles so schön angefangen, jedenfalls für Philipp (Louis Nitsche) und Henriette (Corinna Harfouch): Die beiden sind seit ein paar Wochen ein Liebespaar. Dass er vom Alter her ihr Sohn sein könnte, scheint weder die verwitwete, wohlhabende Frau noch ihren jungen Liebhaber zu stören. Wohl aber Johanna (Karin Hanczewski), Henriettes erwachsene Tochter, die in dem Haus am See aufkreuzt. Das unterkühlte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist dabei förmlich mit Händen zu greifen.

Das Kammerspiel “Der neue Freund”, den das Erste am 25. Oktober von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, erzählt davon, wie Johanna das demonstrative Glück von Henriette und Philipp zu untergraben sucht, und den zwischenmenschlichen Dynamiken, die dies in Gang setzt. Geht es der Tochter dabei lediglich um das Wohl der Mutter, wie sie beteuert? Oder ist es Missgunst, wie Henriette ihr vorwirft? Womöglich Eifersucht? Immerhin würde Philipp altersmäßig viel besser zu der alleinstehenden jüngeren Frau passen…

Johanna kommt tagsüber in ihrem Konstanzer Elternhaus an, das hier im Übrigen die vierte Hauptrolle spielt und mit seinen zahlreichen Macken und Behelfslösungen ein Abbild der zwischenmenschlichen Irritationen und Konflikte zu formen scheint. Während das herbstliche Licht durch die großen Fenster flutet, ist die Stimmung zwischen den dreien eher frostig. Hitzig wird es in der darauffolgenden Nacht. Oder handelt es sich bei den nächtlichen Dramen um einen (Alb-)Traum?

Das legt der Film zunächst nahe, lässt den Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln tappen. Tag und Nacht erscheinen wie zwei klar voneinander getrennte Sphären, was sich auch in der Farbgebung zeigt: Hier die zarten Grün- und Brauntöne eines ruhigen Herbsttages, dort das melodramatische Rot und Blau der von einem heftigen Unwetter eingeläuteten Nacht. Stehen diese Sphären für die nüchterne Realität auf der einen und Traum, Wahn, Fantasie auf der anderen Seite? Am Ende, so viel sei verraten, schließt sich der Kreis – woran unter anderem ein verkohltes Designer-Sofa seinen Anteil hat.

“Der neue Freund” ist ein eigenwilliger, stilbewusster Film – und damit zunächst mal interessant. Leider jedoch sind die Konflikte im Zentrum der Story tendenziell unüberzeugend; besonders gravierend abzulesen am Streitpunkt der geplanten Hochzeit zwischen Henriette und Philipp. Dass Henriette, diese coole, gebildete, verwitwete und finanziell unabhängige Frau im fortgeschrittenen Alter, nach nur zwei Monaten Beziehung ernsthaft vom Heiraten geträumt haben soll, glaubt man dem Drehbuch keine Sekunde. Folglich lässt einen die hier endlos breitgetretene, gerade in diesem betont deutlich als Bildungsbürgertum markierten Milieu seltsam aus der Zeit gefallene Diskutiererei über das Thema “Hochzeit – ja oder nein” denn auch entsprechend kalt.

Solch hölzerne, “ausgedacht” wirkende Konflikte aber lassen Handlung wie Protagonisten auf der Stelle treten, eine Entwicklung findet kaum statt. Was auch mit der sprunghaften Erzählweise zu tun hat. Spannung entsteht erst, als der Film mit der Annäherung zwischen Johanna und Philipp endlich einmal länger in einer Szene, einem Dialog, einem Gefühl bleibt.

Eine schöne Idee freilich ist das Element des Tanzes, das Schwung bringt in diese allzu künstliche Versuchsanordnung. Sehenswert ist der Film zudem wegen der starken Bilder von Kameramann Clemens Baumeister. Und, last but not least, wegen Corinna Harfouch, die hier als Einzige eine vielfach schillernde Figur spielen darf.