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Stiftung: Bei Hausärzten drohen zunehmende Engpässe

Die hausärztliche Versorgung steht unter Druck. Jeder vierte Hausarzt will seine Praxis in den kommenden fünf Jahren aufgeben. Die Bertelsmann Stiftung sucht nach Auswegen.

Bei der hausärztlichen Versorgung in Deutschland drohen in den kommenden Jahren zusätzliche Engpässe. Ein Viertel der Hausärztinnen und -ärzte überlegt, die Tätigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre aufzugeben, für ein Zehntel ist die Entscheidung definitiv. Diejenigen, die ihren Beruf weiter ausüben möchten, wollen ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 durchschnittlich um weitere zweieinhalb Stunden reduzieren. Das geht aus einer am Mittwoch in Gütersloh veröffentlichten infas-Umfrage hervor, für die die Bertelsmann Stiftung und die Universität Marburg knapp 3.700 Hausärztinnen und -ärzte in Deutschland repräsentativ befragen ließen.

Schon heute sind über 5.000 Hausarztsitze unbesetzt. Da der Nachwuchs diese Entwicklungen nur teilweise ersetzen kann, könnte sich laut Stiftung die Anzahl der fehlenden Hausärztinnen und -ärzte in den nächsten fünf Jahren verdoppeln. Die Entwicklung ist besonders problematisch, weil die Hausarztpraxen laut Plänen der Bundesregierung künftig eine zentrale Rolle bei der Steuerung der Patienten durch das Gesundheitssystem übernehmen sollen. In Deutschland gab es 2024 rund 55.400 Hausärztinnen und Hausärzte.

Für die Experten der Bertelsmann Stiftung gibt es allerdings mehrere Handlungsalternativen: “Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht. Hier gilt es, bislang ungenutzte Potenziale zu heben”, sagt Uwe Schwenk, Direktor Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung. Den Befragungsdaten zufolge wenden die Hausärztinnen und -ärzte rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit für Sprechstunden und Hausbesuche auf. Den Rest verbringen sie mit Verwaltungsaufgaben, Fortbildungen oder sonstigen Tätigkeiten.

Eine Entlastungsmöglichkeit für Hausarztpraxen besteht laut Stiftung darin, Aufgaben wie Terminmanagement, Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe stärker zu digitalisieren. Das setze jedoch voraus, dass die digitalen Lösungen im Praxisalltag stabil laufen. Denn 25 Prozent der Befragten berichten, dass Software-Probleme die Praxis- und Behandlungsabläufe ein- oder mehrmals am Tag beeinträchtigen.

Zudem könnten auch bestimmte Aufgaben auf andere, nichtärztliche Berufsgruppen im Gesundheitswesen übertragen werden – etwa speziell dafür ausgebildete medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte. Sieben von zehn befragten Hausärztinnen und -ärzten schätzen das damit verbundene Entlastungspotenzial als groß ein.

Nach Ansicht der Bertelsmann Stiftung sollten die Strukturen und Abläufe im Gesundheitssystem modernisiert werden, statt Versorgungsengpässe durch noch mehr Steuerzuschüsse oder höhere Kassenbeiträge stopfen zu wollen. Veränderte Abläufe, die zu weniger Verwaltungsaufgaben und kürzeren Arbeitszeiten führen, könnten laut Umfrage maßgeblich dazu beitragen, Hausärztinnen und -ärzte im System zu halten: Die Mehrheit der Befragten, die ihre Praxis aufgeben wollen, kann sich vorstellen, unter bestimmten Bedingungen länger im Beruf zu bleiben als geplant. Am häufigsten nennen sie dabei weniger Bürokratie als Voraussetzung, viele wünschen sich zudem geringere und flexiblere Arbeitszeiten.

Im Schnitt arbeiten die befragten Hausärztinnen und -ärzte derzeit 44 Stunden pro Woche. Diese Wochenarbeitszeit liegt damit zehn Stunden über der durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigen in Deutschland, ist aber im vergangenen Jahrzehnt deutlich gesunken: 2012 arbeiteten Hausärztinnen und -ärzte laut Ärztemonitor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch 57,6 Stunden pro Woche.