Klassentreffen sind spannend und oft ein Wetteifern, wer es in Beruf und Familie am weitesten gebracht hat. Der gleichnamige Film blickt auf Menschen, die ihr Glück gefunden haben oder mit vertanen Chancen hadern.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Gesa (Annette Frier) und ihr Mann Thorsten (Oliver Wnuk) sind aufgeregt. Die beiden haben ein Treffen ihrer Abiturklasse organisiert. Nach 25 Jahren sehen sich die einstigen Mitschüler meist das erste Mal wieder. Nicht alle sind gekommen, nicht alle wurden eingeladen. Völlig überraschend steht zum Beispiel Sven (Fabian Hinrichs) im Saal, der Stinkstiefel, der damals alle mobbte und heute sein Geld als Anwalt in Los Angeles macht.
Die ersten Fragen gelten oft dem Familienstand und Kindern. Oberflächliche Gespräche beginnen, doch bald wächst die Neugier, alte Geheimnisse – etwa einen Seitensprung während der Abifeier – aufzuklären. Der Ensemblefilm “Klassentreffen” von Jan Georg Schütte aus dem Jahr 2019 illustriert die Gespräche des Abends.
Haben die anderen ihre Träume – beruflich wie privat – verwirklichen können, wie stehen sie heute da im Leben? So eine unausgesprochene Bilanz beim Wiedersehen mit einstigen Freunden und Mitschülern ist im Fernsehen nicht neu. Meist werden Klassentreffen fiktional zum komödiantischen oder zynischen Schlagabtausch, bei dem Erinnerungen beschworen oder alte Rechnungen beglichen werden und es dem einstigen Störenfried heimgezahlt wird.
Der Ansatz und die realistische Herangehensweise von Schütte sticht aus der Fülle der Produktionen heraus: Er hat nur die 17 Charaktere festgelegt, ihnen aber keinen vorgegebenen Text gegeben. Gedreht wurde die TV-Improvisation in einem Rutsch, mit 24 Kameras in fünf Räumen gleichzeitig und in Echtzeit.
Das Wiederherantasten, das Abscannen der früheren Mitschüler und die mal überschwänglichen, mal zaghaften Begrüßungen werden viele Zuschauer von eigenen Jahrgangstreffen kennen. Bei “Klassentreffen” werden Geständnisse um unerfüllte Liebe und Minderwertigkeitskomplexe gemacht. Sven entschuldigt sich bei seinen einstigen Mitschülern, und tritt gleich wieder ins Fettnäpfchen, als er sein früheres Fehlverhalten mit einer mitgebrachten protzigen Torte wiedergutmachen will. Natürlich kann man auf ihr ein blitzendes Feuerwerk zünden.
Wie die meisten der einstigen Abiturienten hat auch er sich kaum verändert. Alte Minderwertigkeitskomplexe sind geblieben wie der von Ali Nasser (Kida Khodr Ramadan), dem einzigen türkischstämmigen Mitschüler. Andere haben sich in ihren Lebenslügen eingerichtet, haben zum Beispiel Familie, obwohl sie schon damals ahnten, dass sie schwul sind. Oder sie können nicht mit der Vergangenheit abschließen – sei es eine verhauene Prüfung oder einer unerfüllten Liebe. Und plötzlich hängt auch ein großer Skandal in der Luft. Sollte Thorsten wirklich seit Jahrzehnten mit einer einstigen Mitschülerin eine Affäre samt Kindern haben, von der seine Frau nichts ahnt?
Die Besetzungsliste des Ensemblefilms liest sich wie ein Who is Who des deutschen Schauspiels: Charly Hübner, Anja Kling, Jeanette Hain, Nina Kunzendorf, Elena Uhlig, Anna Schudt und Christian Kahrmann standen vor der Kamera. Sie alle tragen das Drama um Menschen, die nie aus ihrer Haut konnten und es auch jetzt nicht können. Die alten Verhaltensweisen sind verfestigt, und die einstigen Verletzungen haben sie geprägt, auch wenn sich das kaum einer eingestehen will.
Der Film bleibt bis zum Ende dem realistischen Ansatz treu, er hat beinahe naturalistische Züge. Ein wenig mehr Pepp und Schliff hätte den improvisierten Dialogen gut getan. Die Nüchternheit ist vielleicht auch der Arbeitsweise von Regisseur Schütte geschuldet, der den im ernsten Fach erprobten Schauspielern nur die Ausgangssituation vorgab.
Das 130 Stunden umfassende Filmmaterial wurde auf 90 Minuten Spielfilmlänge zusammengeschnitten.