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Starbesetzte skurrile Serie stellt sechsmal die Frage “Warum ich?”

Wem etwas Dummes, Unangenehmes, Gefährliches passiert, der hadert gerne mal mit dem Schicksal und fragt: “Warum ich?” Sechsmal stellt Regisseur David Schalko diese Frage in seiner gleichnamigen Anthologie.

Jeff Kanter (Charly Hübner) war einst eine Größe als Country-Sänger. Jetzt lebt er im Wohnwagen und versucht, seine Schulden mit Wohnzimmerkonzerten abzuzahlen. Ein paar Bier, kleine Scheine und etwas Bewunderung – mehr ist auch bei Monika (Andrea Sawatzki) offenbar nicht drin. Sie hat Jeff Kanter zum Geburtstag ihres Mannes gebucht, aber ehe der sich versieht, wird aus dem Gig ein Tänzeln am Abgrund.

Was soll die Personalerin Saskia (Nora Waldstätten) erst sagen? Sie schmeißt kaltblütig Leute raus und muss bei der Fahrt ins Wochenende feststellen, dass ein Gekündigter sich gerade vor den Zug geworfen hat, in dem sie sitzt. Das Abteil wird zur emotionalen Zelle, bis sich – Zufall oder auch nicht? – ein Notfallpsychologe (Bjarne Mädel) neben sie setzt. Erlösung aus dem Alptraum?

Im Restaurant “Casa Carmen” herrscht dicke Luft: ein Ehestreit, ein Blind Date mit falschen Voraussetzungen und ein gehässiges Mutter-Sohn-Dinner machen den Job von Oberkellner Fernando (Oscar Ortega Sanchez) zum Spießrutenlauf. Als dann noch ein Familientreffen eskaliert, betritt ein Mann (Bjarne Mädel) mit einem Revolver den Raum.

Die Episoden heißen “Cowboys”, “Regensburg” und “Casa Carmen” und sie verbinden sich mit drei weiteren zur Anthologie-Serie “Warum ich?” von David Schalko (“Braunschlag”, “Kafka”, “M – Eine Stadt sucht einen Mörder”). Der Österreicher, seines Zeichens Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur und Produzent, entwickelt in seinem neuesten Werk (ab 20. Juni in der ARD-Mediathek) ein Thema, das sich – wie er im Presseheft kundtut – “als egozentrisches Leitthema durch unsere Gesellschaft zieht”. In der Frage “Warum ich?” stecke vieles von dem, was uns frustriere, was wir als Ungerechtigkeit empfinden, was letztendlich zu jener Empathielosigkeit führe, die für westliche Gesellschaften so typisch geworden sei, so Schalko.

Von der Ichbezogenheit in unterschiedlichen Lebenslagen erzählt die Serie, von Einsamkeit über Egoismus bis hin zu Egozentrik. Verhandelt wird, warum Menschen so sind, wie sie sind, und wie sie so geworden sind. Lebensschicksale, Krankheit, Ungerechtigkeit oder persönliche Wendepunkte formen Einstellungen und fordern Reaktionen von Umgebung und Umwelt heraus: Vom Ich zum Wir und wieder zurück.

Die sechs Episoden sind kurz, skurril, wendungsreich und werden von einem kafkaesken Grundton dominiert. Für jeden Zuschauer wird etwas dabei sein – sicherlich nicht “die” umfassende Identifikation in sechs Teilen. Dafür sind die Eingänge, Zugänge und Ausgänge zu weit auseinander gespannt. “Warum ich?” ist schließlich eine Frage, die sich in viele Fragen auflösen lässt.

Die Serie ist in ihrer Dichte ambitioniert und kreativ, auf engstem Raum – in einer Prepper-Community, einem Zugabteil, einem Auto – werden die Situationen aufgeladen, die Dialoge sind porös bis scharfkantig, den Figuren wird ein und dann wieder kein Pardon gegeben. Willkommen in Schalkos Menschentheater, hereinspaziert ins Panoptikum!

Und wenn David Schalko ruft, dann kommt die Schauspiel-Exzellenz zusammen. Charly Hübner, Andrea Sawatzki, Nora Waldstätten, Robert Palfrader, Bjarne Mädel oder Detlev Buck geben ihren Figuren die notwendige Eindringlichkeit. Und wie sie agieren und sich von Regisseur Schalko inszenieren lassen, das verleiht der Anthologie-Serie neben aller Tiefe eine Rätselhaftigkeit, mit der sich der Zuschauer noch lange beschäftigen kann – wenn er sich darauf einlässt.

Die Countrylegende Jeff Kanter also wird zum Opening im Rückblick seinen größten Hit “Bier für Helden” intonieren und in der Fernsehshow akklamieren: “Jeff Kanter ist einer von Euch”. Dieses “Warum ich?” findet eine klare Antwort. Bis der Cowboy, always on the run, bei Monika zum Wohnzimmerkonzert eintrifft. Und wieder stellt sich die Frage, dieses Mal aber mit größerer Wucht: Warum ich?