Christiane Schenderlein ist seit dem Amtsantritt der Bundesregierung Staatsministerin für Sport und Ehrenamt. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie darüber, warum dieses neue Amt geschaffen wurde, warum das Ehrenamt wichtig ist und an welchen Stellen sie für Engagierte Verbesserungen schaffen will.
epd: Ihr Amt wurde neu geschaffen und direkt im Kanzleramt angesiedelt. Warum ist es nötig, so eine exponierte Position zu haben für das Thema Ehrenamt?
Christiane Schenderlein: Es geht um eine deutliche Steigerung der Sichtbarkeit des Ehrenamts und auch um Wertschätzung. Das Ehrenamt ist, was die Gesellschaft am Ende zusammenhält. Man kann die große Kraft, die damit verbunden ist, gar nicht hoch genug einschätzen. Das ist etwas, das uns auszeichnet als Menschen: Dass wir bereit sind, etwas zu leisten, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Oft geschieht das aber unentdeckt und steht nicht so im Fokus.
epd: Wenn Sie in Ihre eigene Biografie blicken: Welches Ehrenamt haben Sie besonders gerne gemacht und warum?
Schenderlein: Ich war sieben Jahre im Kirchenvorstand bei mir in der evangelischen Gemeinde. Das war ein schönes Ehrenamt und auch ein anspruchsvolles, denn als Kirchenvorstand muss man sich beispielsweise um Personalführung kümmern und um Bauprojekte. Das Schöne am Ehrenamt ist: Man kann direkt etwas bewegen. Ich bin seit meinem 16. Lebensjahr politisch engagiert, aber die Prozesse auch auf kommunaler Ebene sind langwierig. Im Ehrenamt kann man ganz konkret Dinge umsetzen. Diese Selbstwirksamkeit ist für viele auch ein Grund, warum sie sich engagieren.
epd: Im Koalitionsvertrag steht, dass beim Ehrenamt Bürokratie abgebaut werden soll. Was schwebt Ihnen vor?
Schenderlein: Viele Ehrenamtliche klagen über zu viel Schreibtischarbeit. Bei Sportvereinen zum Beispiel geht es um Nutzungsrechte, um Genehmigungen, um Nachweispflichten, um den Datenschutz. Im Koalitionsvertrag haben wir einen „Zukunftspakt Ehrenamt“ vereinbart, und dazu gehört Bürokratieabbau. Zuständig sind unter anderem das Justizministerium und, wenn es um Steuern geht, das Finanzministerium. Ich möchte einen aktiven Part spielen, auf die jeweiligen Ministerien zugehen und sagen: So, jetzt müssen wir konkrete Veränderungen anpacken.
epd: Im Koalitionsvertrag steht die Anhebung der Übungsleiter- und Ehrenamtspauschalen. Glauben Sie wirklich, dass finanzielle Anreize ausschlaggebend sind?
Schenderlein: Dieser Punkt sollte nicht unterschätzt werden. Der Aufwand ist größer geworden, weil eben insgesamt die Kosten gestiegen sind. Wir wissen, dass Engagement eine Herzenssache ist, bei der das Finanzielle nicht ausschlaggebend ist. Aber es ist schon wichtig, dass wir den Menschen mitgeben: Wenn ihr etwas für die Gesellschaft tut, dann bekommt ihr wenigstens die Kosten, die euch entstehen, ein Stück weit ausgeglichen. Das ist für mich auch eine Form der Wertschätzung.
epd: Momentan ist in der politischen Debatte viel die Rede davon, dass mehr gearbeitet werden soll. Wo bleibt da Zeit für das ehrenamtliche Engagement?
Schenderlein: Das widerspricht sich nicht unbedingt. Wir sehen, dass die, die sich ehrenamtlich engagieren, oft auch stark im Beruf verankert sind. Deswegen sehe ich hier auch die Arbeitgeber mit in der Verantwortung. Viele Bundesländer haben sich beispielsweise auf den Bildungsurlaub verständigt, von dem oft auch das Ehrenamt profitiert. Wenn jemand in der Freiwilligen Feuerwehr ist und für eine Weiterbildung Urlaub nehmen müsste, dann wäre das nicht stimmig. Stattdessen sollte er eben Bildungszeit gegenüber seinem Arbeitgeber geltend machen können. Generell ist es eine Aufgabe für Arbeitgeber, auch dieses Engagement ihrer Mitarbeiter wertzuschätzen. Das gilt auch dann, wenn – wie bei der Freiwilligen Feuerwehr – spontan und mitten am Tag ein Einsatz nötig wird. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es natürlich Berufszweige gibt, mit denen sich ein solches Ehrenamt schlechter verbinden lässt.
epd: Viele Untersuchungen zeigen, dass sich das bürgerschaftliche Engagement im Osten dem Niveau des Westens angleicht, es aber immer noch Unterschiede gibt. Woran liegt das?
Schenderlein: Ich weiß, dass wir in den ostdeutschen Bundesländern noch Potenzial haben. Gleichzeitig gibt es viel Engagement. Mein Eindruck ist nur: Es sind halt oft die gleichen Menschen. Die sind im Heimatverein, im Karnevalsverein und am Ende auch noch im Lions Club. Eine der zentralen Fragen ist, wie wir an die Menschen herankommen, die Mauern um sich herum aufgebaut haben. Da will ich nicht lockerlassen. Hier geht es auch darum, immer wieder aufzuzeigen, wie schön es ist, irgendwo mit dabei zu sein.
epd: Für solche Angebote brauchen Sie Partner. Wer werden Ihre wichtigsten Partner sein?
Schenderlein: Wir haben mit der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt einen ganz starken Partner. Sie vereint Beratung, Forschung und natürlich Förderung. Darüber hinaus ist die politische Komponente auch wichtig – gerade die kommunale Ebene ist ein ganz wesentlicher Partner. Bürgermeister, Oberbürgermeisterinnen, Gemeinderäte kennen jeden vor Ort und wissen genau, wo der Schuh drückt.
epd: Ein wichtiger Startpunkt für Engagement sind oft die Freiwilligendienste. Wie blicken Sie darauf? Die Träger fordern zum Beispiel eine langfristige Finanzierung, um nicht jedes Jahr wieder um Plätze bangen zu müssen.
Schenderlein: Die Zuständigkeit für die Freiwilligendienste liegt aktuell im Familienministerium. Allerdings ist es ein Thema, bei dem wir als Union klar eine Entscheidung getroffen haben: Wir wollen das verpflichtende Gesellschaftsjahr. Ich bin der Ansicht, dass wir über ganz viele freiwillige Angebote zwar einen Teil der jungen Menschen ansprechen und auch begeistern können. Aber wahrscheinlich nicht genug von Ihnen. Das ist ja auch ein Thema bei der aktuellen Diskussion über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Bis dahin muss die überjährige Finanzierung der Freiwilligendienste angegangen werden, um eine bessere Planbarkeit für die Träger zu ermöglichen. Das haben wir sogar im Koalitionsvertrag verankert.
epd: Weil Sie auf Ihre Partei verweisen: Die Unionsfraktion im Bundestag hat mit einer parlamentarischen Anfrage zur Finanzierung von Organisationen, die gegen die Abstimmung im Bundestag mit der AfD auf die Straße gegangen sind, einige gemeinnützige Organisationen vor den Kopf gestoßen. Haben Sie in Ihrem Amt da etwas gut zu machen?
Schenderlein: Dabei ging es um finanzrechtliche Fragen, die eine Relevanz für die Gemeinnützigkeit haben. Die werden immer wieder gestellt und müssen auch gestellt werden. Es ist die Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, die Ausgaben zu kontrollieren. Damit einher ging die Frage nach der Parteilichkeit der Organisationen, also danach, ob Akteure, die steuerlich unterstützt werden, eine Neutralitätsverpflichtung haben. Deswegen finde ich nachvollziehbar, dass wir diese Fragen gestellt haben.
epd: Wie ist Ihre Perspektive auf das Zusammenspiel zwischen bürgerschaftlichem, ehrenamtlichem Engagement und Demokratie?
Schenderlein: Am plastischsten lässt sich das an Vereinen darstellen: Da wird Demokratie gelebt. Sie haben eine Satzung, müssen Wahlen durchführen, die Finanzen in Ordnung halten. Sich engagieren heißt Mitgestalten und Mitentscheiden, um gemeinsam gefundene Wege zu gehen. Das ist entscheidend für die Demokratiebildung und natürlich auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
epd: Sie haben gesagt, vieles, was in Deutschland ehrenamtlich getragen wird, werde übersehen. Woran denken Sie da?
Schenderlein: Ich denke zum Beispiel an das Thema Krisenintervention. Nehmen wir einen Verkehrsunfall: Schon bei der Rettung ist Ehrenamt im Spiel, beispielsweise in Form der Freiwilligen Feuerwehr oder des Technischen Hilfswerks. Dann gibt es die Notfallseelsorge, in der sich viele Ehrenamtliche engagieren. Wir haben nach dem Anschlag in Magdeburg gesehen, welche Wahnsinnskraft hinter diesem Engagement steckt. Aber es gibt ganz viele Beispiele. Jedes Fußballspiel im Dorf wird letztlich durch Ehrenamt abgedeckt – Schiedsrichter, Trainer, Menschen, die den Platz vorbereiten oder an der Seite stehen und grillen. Das findet tausendfach statt an jedem Wochenende.