Stottern ist eine besondere Form des Sprechens, die manche ratlos macht. Wer zugewandt zuhört und Geduld zeigt, hilft Betroffenen am meisten – und kann so ihre Sprachsicherheit stärken.
Miteinander zu sprechen bedeutet, einander besser zu verstehen. Stotternde Menschen jedoch erleben, dass ihr stockendes Sprechen die Verständigung erschweren kann. “Etwa ein Prozent der Bevölkerung stottert – also rund 800.000 Menschen in Deutschland”, sagt der Geschäftsführer der Kasseler Stottertherapie, Herbert Frosch, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “Allerdings viermal so viele Männer wie Frauen.” Seit bald drei Jahrzehnten unterstützt die Einrichtung im hessischen Bad Emstal mit etwa 30 Stotter-Experten bundesweit Menschen mit einer solchen Sprachstörung.
Mehr als 4.500 Klienten ab drei Jahren, Jugendliche und Erwachsene haben demnach dort eine krankenkassenfinanzierte Therapie erhalten. Altersgruppenbezogenes Arbeiten sei therapeutisch sehr wichtig, da die Sprachentwicklung je nach Alter unterschiedlich ausgeprägt sei. Gearbeitet werde daher in Gruppen von 3 bis 6 Jahren, 6 bis 9 Jahren, 9 bis 12 Jahren und ab 13 bis ins hohe Alter. “Bei Dreijährigen arbeiten wir die ersten vier Monate nur indirekt mit den Eltern”, erklärt Frosch. “Dreijährige imitieren im Wesentlichen das Sprechen der Eltern, und deshalb bilden wir die Eltern zunächst als Co-Therapeuten aus.”
Manchmal könne die Sprechstörung schon damit behoben werden. Frosch, zuvor Manager in der Medizintechnik-Branche, leitet die Kasseler Stottertherapie seit rund drei Jahren. Er kritisiert, dass das Stottern bei Betroffenen noch immer zum gesellschaftlichen Stigma führen kann. “Vorstellungsgespräche können unter Stotternden mit sehr viel Angst verbunden sein. Übrigens kann auch das Kennenlernen eines Lebenspartners sehr viel schwieriger sein”, zählt er auf. “Stottern ist eine Redeflussstörung, bei der es zu unwillkürlichen Unterbrechungen beim Sprechen kommt.”
Stottern zeige sich sehr individuell und situationsabhängig. Zu typischen Merkmalen zählten Wiederholungen, Dehnungen und Blockierungen von Lauten oder SilbenSo würden Buchstaben wiederholt, wie “A-aaa-a apfel” oder gedehnt “Aaaapfel”. Auch könne es zu einer Blockade kommen, bis ein Wort schließlich ausgesprochen werde. Begleitend träten mitunter motorisches Mitbewegen, sprachliches oder situatives Vermeide-Verhalten, Scham, Angst oder sozialer Rückzug auf.
Eine Tabuisierung des Stotterns hat aus Sicht der Fachleute meist einen kontraproduktiven Effekt – es könne zu einem Kreislauf von Vermeide-Strategien, Scham, stärkerem Stottern und im schlimmsten Fall einer Chronifizierung führen. “Grundsätzlich gilt: Wenn ein Kind das Stottern selbst bemerkt, dann sollte es auch kindgerecht angesprochen werden”, erklärt Frosch. Auch Erwachsene könnten Verdrängungsmechanismen oder mangelndes Sprech-Bewusstsein haben. Verständnis helfe sowohl jüngeren als auch älteren Betroffenen.
Stottern sollte sensibel thematisiert werden – und dem Stotternden keine Außenseiterrolle zugeteilt werden. Wichtig sei etwa, dass Erwachsene geduldig reagieren, das Kind ausreden lassen und ihm genügend Zeit zum Sprechen einräumen. Am besten sei zugewandtes Zuhören – bis alles gesagt wurde, sagt Frosch. “Ein Kind sollte beim Sprechen nicht unter Leistungsdruck stehen; dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Verstärkung des Stotterns.”
Gleich ob Kinder oder Erwachsene – die Umgebung sollte möglichst gelassen die Sprachstörung hinnehmen und die Person nicht beim Sprechen korrigieren, sondern – wie andere Menschen auch – aussprechen lassen. Aus Unwissenheit, Ungeduld oder Hilflosigkeit nähmen viele Zuhörer dem Stotternden die Worte aus dem Mund. “Sie beenden für sie die Sätze oder geben ihnen vermeintliche Ratschläge”, berichtet Frosch. “‘Lass dir Zeit’ oder auch ‘Sprich langsamer’ – das ist alles nicht hilfreich.”
Auch die Erwartung, es einem Stotternden durch Wegsehen leichter zu machen, ist aus Expertensicht höchstens vereinzelt richtig. Meist bedeute es eine zusätzliche Verunsicherung. “Eine Thematisierung des Stotterns – und ein offener Umgang damit – können für alle Beteiligten die Situation oft erheblich erleichtern”, rät Frosch.
Werde das Stottern tabuisiert, könne dies sogar zur Vermeidung bestimmter Situationen führen, zur Entwicklung von Sprechängsten und zu Einschränkungen im gesamten Leben. Denn nach aktuellem Wissensstand ist davon auszugehen, dass die überwiegenden Fälle des Stotterns genetisch bedingt sind und in jedem fünften Fall neurologische Ursachen vorliegen.