Eine Deutsche wird erschlagen aufgefunden, auf polnischem Boden. Ein Motiv für den Mord hätten so ziemlich alle Männer um sie herum. Spannender, stimmungsvoller Fall zwischen Fußball und provinzieller Ödnis.
“Männer mit Minderwertigkeitskomplexen” vermutet Ermittler Vincent Ross hinter dem Mord an Olivia Briegel. Damit wird er recht behalten – allerdings anders als zunächst gedacht. Tatsächlich ist dieser Krimi gut bevölkert mit Männern, die sich mehr schlecht als recht durchs Leben lavieren, die sich abstrampeln, nicht mithalten können, ein Stück weit abgehängt sind. Frauen dagegen kommen in dem “Polizeiruf 110: Spiel gegen den Ball”, den Das Erste am 22. Juni von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, so gut wie nicht vor – einmal abgesehen von Kommissarin Alexandra Luschke und einer Sozialarbeiterin.
Umso schillernder und widersprüchlicher wird das Bild der toten Olivia Briegel gezeichnet, die hier ausschließlich in den Beschreibungen ihrer Mitmenschen “lebendig” wird: ehemalige Berufssoldatin, Leiterin einer Gerüstbaufirma im polnischen Kostrzyn, Sponsorin des lokalen Fußballvereins, alleinerziehende Mutter, Trägerin des Spitznamens “Die Eiskönigin”.
Außerdem, je nachdem, wen man fragt: erfolgreich, stark, gewinnend, leistungsorientiert. Oder aber ahnungs- und rücksichtslos, größenwahnsinnig, knallhart zu sich selbst und ihrem Umfeld. Ein Motiv für den Mord hätten so ziemlich alle Männer um sie herum: Der Konkurrent auf der Arbeit, der von ihr abgesägte Fußballtrainer, der als “Toy Boy” benutzte Untergebene…
Ross (André Kaczmarczyk) und seine Kollegin Luschke (Gisa Flake) ermitteln hier (nach “Cottbus Kopflos”) zum zweiten Mal gemeinsam. Und, was soll man sagen: Es matcht. Der Sanfte und die Toughe, so erscheint dieses Duo vordergründig; es gibt dann aber noch ein paar weitere Schichten zu entdecken. Schön, dass die beiden so altmodisch recherchieren, das Puzzle dieses Falls Stück für Stück und weitgehend analog zusammensetzen dürfen. Gut zudem, dass beider Privatleben eher außen vor bleiben.
Der Fall mit seinen vielen Verdächtigen und Motivlagen ist auch so gut gefüllt, ohne übervoll zu sein. Ein überzeugendes, feinfühliges Buch haben die Autoren Michael Fetter Nathansky, Daniel Bickermann und Christian Werner da geschrieben: fast ganz ohne in Klischees abzurutschen, mit dezent, aber prägnant gezeichneten Figuren, in einer stimmigen Balance aus Sozialdrama und Kriminalfall. In diesem deutsch-polnischen Grenzgebiet gibt es dysfunktionale Familien, Einsamkeit und ländliche Ödnis, aber auch einen als Anker und Ventil offenbar gut funktionierenden Fußballverein mit engagierten Jugendtrainern.
Der Sport ist hier mit großen Hoffnungen verbunden: “Der einzige Weg aus Kostrzyn führt ins Olympiastadion”, sagt etwa der ehrgeizige Kevin (Franz Ferdinand Krause), einer der Jugendspieler. Sein Kumpel Robert (Lauri Kröck) ergänzt hellsichtig: “Oder in den Knast nach Wriezen!” Gemeinsamer Freund und Mitspieler ist Marco (Len Blankenberg), Olivia Briegels Sohn. Den Mord an seiner Mutter nimmt er eher schweigsam auf, flüchtet sich in Computerspiele und die Vorbereitung eines Fußballturniers. Die drei jugendlichen Darsteller spielen herausragend; doch auch der Rest des Casts inklusive des ermittelnden Personals überzeugt.
Zum positiven Gesamteindruck tragen außerdem das gute Setdesign, eine eindrückliche Farbgestaltung und gelungene Kameraarbeit sowie die subtil eingesetzte, vorwärts treibende Musik bei. “Spiel gegen den Ball” erfindet das Krimidrama aus der Provinz nicht neu: Geschichten über Gegenden abseits der großen Städte, in denen jeder jeden kennt und doch einsam ist, hat man schon manches Mal gesehen. Allerdings füllt dieser Brandenburger “Polizeiruf” das Genre stimmig mit Leben, auf spannende, stimmungsvolle und zugleich sensible Weise. Und am Ende versteht man dann auch den etwas mysteriösen Satz vom Beginn – Vincent Ross’ hingemurmeltes: “Alle sind schuld daran…”