Ist der Osten weniger demokratisch eingestellt? Der Soziologe Raj Kollmorgen verneint das. Vielmehr gebe es ein anderes Verständnis von Demokratie. Mehr Teilhabe stärkt die Demokratie ihm zufolge übrigens nicht.
Ostdeutsche haben laut dem Soziologen Raj Kollmorgen selbstverständlich eine andere Auffassung von Demokratie, ohne deshalb weniger demokratisch zu sein. “Aus soziologischer Perspektive muss man geradezu sagen, es wäre irre, wenn Ostdeutsche die Demokratie genauso wie Westdeutsche verstünden. Natürlich nicht”, sagte er am Montag in Chemnitz bei der Jahrestagung des Deutschen Museumsbunds mit rund 1.000 Teilnehmenden.
“Fast möchte man sagen, Ostdeutsche müssen Demokratie auch anders sehen, weil sie durch DDR, Revolution und die Transformationsprozesse einen ganz anderen Erfahrungsraum mitbringen als etwa die westdeutsche Mittelklasse in Baden-Württemberg.” Zugleich betonte Kollmorgen: “Ich käme aber nie auf die Idee zu sagen, die Ostdeutschen seien weniger demokratisch. Das ist genauso falsch wie die Behauptung, die Demokratie könnte die nächsten 50 Jahre so bleiben, wie sie ist.”
Die zunehmenden Angriffe auf die Demokratie sieht der Professor der Hochschule Zittau/Görlitz als einen Ausdruck tiefgreifender Transformationsprozesse. Das sei ein weltweit zu beobachtendes Phänomen. Dass sich Demokratie durch mehr Teilhabe stärken lasse, stellte Kollmorgen indes in Abrede: “Viele von uns gehen sicher davon aus, dass die Demokratie, je partizipativer sie ist, desto besser funktioniert. Ich sage ganz eindeutig, ich sehe das nicht.”
Demokratie büße durch zusätzliche Beteiligung beispielsweise Effektivität im Handeln ein. “Das ist im Übrigen auch in den Sozialwissenschaften seit 50 Jahren sehr gut untersucht, aber das hat keinen Effekt, jedenfalls nicht für den politischen Prozess.” Er wolle damit nicht gegen Partizipation argumentieren, betonte Kollmorgen. “Aber ich werbe dafür, dass wir auch problematisieren, dass eine Steigerung der Partizipation Folgekosten erzeugt, die möglicherweise einen Grad erreichen, den wir teils nicht im Blick hatten und der teils genau das konterkariert, was wir eigentlich damit bezwecken.”
Die größte Museumskonferenz Deutschlands findet noch bis Mittwoch in der Europäischen Kulturhauptstadt Chemnitz statt. Im Fokus steht die Bedeutung von Museen zur Stärkung der Demokratie.