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Sorge vor Fremdbestimmung von oben

An diesem Freitag und Samstag tritt die neue Landessynode der EKBO zu ihrer Frühjahrstagung zusammen. Eines der Themen, die zur Diskussion stehen: Wie geht es mit den kleinen Kirchengemeinden weiter?

Von Uli Schulte Döinghaus

Die Struktur der EKBO ist in Bewegung. Das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die Titelseiten des Amtsblatts: Allein im jüngsten Amtsblatt gibt es sechs Bekanntmachungen über Namensänderungen von Kirchengemeinden, Vereinigungen zu Gesamtkirchengemeinden, zu Pfarrsprengeln oder anderen dauerhaften Verbindungen. 

684 Gemeinden haben weniger als 300 Mitglieder

Damit werden Initiativen vorweg­genommen, die aktuell von den Leitungsgremien der Landeskirche angestoßen werden. In einer Vorlage der Kirchenleitung für die anstehende Sitzung der Landessynode in dieser Woche bittet Bischof Christian Stäblein die Synodalen unter anderem darum, „die Zahl der kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts zu reduzieren“. Genannt wird eine Mindestmitgliederzahl von 300 Personen. Vor der geplanten Verabschiedung eines entsprechenden Kirchengesetzes im Herbst soll es Konsultationen, Informationen und Diskussionen geben.

In der EKBO gibt es zurzeit 1184 selbstständige Kirchengemeinden, 684 davon haben weniger als 300 Gemeindeglieder. Mehr als 200 Kirchengemeinden haben sogar nur 50 und weniger Mitglieder – Tendenz abnehmend. Ob 300 Mitglieder oder 3000: Jede dieser Kirchengemeinden ist eine sogenannte Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dieser Status gewährt ihnen einen großen Handlungsspielraum und ist ein altes staatliches Privileg. „Die Freiheit der Regelung der eigenen Angelegenheiten gewährt das staatliche Recht der Kirche mit der Möglichkeit, als Körperschaft des öffentlichen Rechts (beispielsweise als Kirchengemeinde) weitgehenden Handlungsspielraum zu haben und nicht an Vorgaben, zum Beispiel des Gesellschafts- oder Vereinsrechts gebunden zu sein.“ So heißt es in einer Erläuterung, die der leitende Kirchenrechtler der EKBO, Martin Richter, formuliert hat. Der Oberkonsistorialrat bereitet mit seiner Kollegin Heike Koster zurzeit Vorlagen und Statistiken für die Synodalen auf, besucht Gemeinden vor Ort und organisiert Videokonferenzen mit Pfarrpersonen, Kreiskirchen- und Gemeindekirchenräten. 

Rechtsform mit Vor- und Nachteilen

Den Rechten von Körperschaften öffentlichen Rechts stehen aber auch viele, teils komplizierte Verpflichtungen gegenüber. Sie müssen eigene Finanzhaushalte stellen und sind staatlichen Regelungen über Arbeitsschutz, IT-Sicherheit und 

Datenschutz verpflichtet. Über solche Aufgaben, die in der Vergangenheit vermehrt auf sie zugekommen sind, klagen Älteste und Pfarrpersonen einhellig. „In den vergangenen fünf, sechs Jahren ist die Bürokratie unglaublich gewachsen“, sagt Pfarrer Mathias Wolf, der den Seelsorgebereich Menz und den Sprengel Gransee im Kirchenkreis Oberes Havelland betreut. Dort haben sich aus eigenem Antrieb im Laufe vieler Jahre über 30 kleine und kleinste Kirchengemeinden zusammengetan. Entstanden sind zwei Gesamt­kirchengemeinden mit zwei rechtsfähigen GKRs, in denen jede Kirchengemeinde jeweils einen Sitz und eine Stimme hat. „Damit haben wir eine Struktur, die zumindest mittelfristig Bestand haben wird“, freut sich Pfarrer Wolf. 

Dass trotz dieser durchaus günstigen Rechtsform eine Reduktion der Körperschaften angestrebt wird, hat unter anderem damit zu tun, dass selbst die kleinsten Gemeinden „Wirtschaftssubjekte“ sind. Wenn sie mit anderen Körperschaften ins Geschäft kommen – Immobilienmanagement, Bauaufsicht, Kindergartenversorgung, Dritte-Welt-Cafés –, dann fallen unter Umständen Körperschafts- oder Umsatzsteuern an. Sie erzeugen zusätzlichen Aufwand und zusätzliche Kosten und müssen oft von ehrenamtlich engagierten Laien vor Ort organisiert werden.

Gegen Vereinigungen von Gemeinden gibt es inhaltlich nur selten Einwände. Die Sorge ist vielmehr, von oben, also von der Landeskirche, fremdbestimmt zu werden. „Mir ist es theologisch relativ egal, was wir für eine Struktur haben. Aber sie soll den Gemeinden dazu dienen, Gemeinde zu sein, zu bauen und zu leben. Verwaltungstechnische Effizienz muss sich auch die Frage nach gewachsenen Strukturen stellen und nach dem, was Menschen brauchen.“ Das sagt Susanne Seehaus, die als Pfarrerin den Pfarrsprengel Rangsdorf-Groß Machnow südlich von Berlin leitet, zu dem zwei Pfarrgemeinden gehören. Sie plädiert aus eigener Erfahrung dafür, kirchengemeindliche Strukturreformen nicht übers Knie zu brechen und flexible Lösungen zuzulassen, vielleicht sogar Pilotprojekte. 

Kleine Gemeinden, viel Engagement

Freiwilligkeit und Selbstorganisation – das sind auch die Prinzipien, die Pfarrer Matthias Wolf einfordert. Er leitet die Pfarrsprengel Woltersdorf und Jänickendorf-Stülpe im Kirchenkreis Zossen-Fläming mit acht selbstständigen Gemeinden und Gemeindekirchenräten. Mindestens zweimal im Jahr tagen die acht GKR gemeinsam und bündeln Ressourcen, Kräfte und Informationen. „Das geht gut, weil es oft um Themen geht, die alle Gemeinden gleichermaßen betreffen.“ Die Zusammenarbeit klappt, versichert der Pfarrer. Die unter dem Dach des Sprengels verbundenen Gemeinden verabschieden sogar gemeinsame Finanz- und Haushaltspläne, was so eigentlich nicht vorgesehen ist, aber von der Kirchenobrigkeit akzeptiert wird. 

Er sieht in den vielen GKRs keine Bürde, sondern einen großen Vorteil: „Wenn wir zu einer einzigen Gemeinde fusioniert würden“, sagt er, „dann würden wir rund 15 ehrenamtliche Älteste verlieren, die sich in den Dörfern und Gemeinden für ihren Glauben und ihre christliche Überzeugung einsetzen.“