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Sorge und Selbstbewusstsein – Anspannung in jüdischen Gemeinden

Manche halten sich fern, andere wollen bewusst dabei sein. Das gilt für Schabbat-Gottesdienste, religiöse Feiern oder den Schulbesuch der Kinder. Konkrete Bedrohungen gibt es laut Behörden nicht – aber gefühlte.

Daniel Korn geht es gerade wie vielen Jüdinnen und Juden in Deutschland: Seine Gedanken kreisen um die Ereignisse in Israel – und damit verbunden auch um die eigene Situation in Deutschland. “Die aktuellen Ereignisse haben eine spürbare Wirkung auf die mentale Lage unserer Gemeindemitglieder”, sagt Korn. Er ist im Vorstand der jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, mit knapp 6.500 Mitgliedern eine der größten in Deutschland, und dort für die Sicherheit zuständig.

So fragten Eltern, ob sie ihre Kinder in die jüdische Schule schicken sollten. Andere wollten wissen, ob es gefährlich sei, in die Synagoge zu gehen, erklärt Korn. Zugleich bangten Menschen um Familie und Freunde in Israel. Sie stehen unter Beschuss aus dem Iran, harren im Bunker aus oder sind im Militäreinsatz.

Seit Beginn des Krieges zwischen Israel und dem Iran Ende vergangener Woche sind solche Fragen für etliche Jüdinnen und Juden außerhalb Israels auf der Tagesordnung. Und eigentlich waren sie es immer wieder seit dem 7. Oktober 2023, als die Terrororganisation Hamas Israel überfiel und daraufhin der Krieg im Gazastreifen begann.

Allerdings: Es gebe auch das selbstbewusste Gegenteil des “jetzt erst recht”, betont Korn. “Leute wollen sich nicht einschüchtern lassen.” So seien am Freitagnachmittag mehrere hundert Menschen zur Bat-Mitzwa-Feier eines Mädchens in die große Westendsynagoge gekommen. Damit wird die religiöse Mündigkeit gefeiert, bei Mädchen im Alter von zwölf Jahren.

Auch der Gottesdienst am Samstag am jüdischen Ruhetag Schabbat sei gut besucht gewesen: “Die Leute sind bewusst gekommen.” Er selbst auch, sagt Korn. Als dann am Sonntag eine neue Thorarolle eingeweiht wurde, hätten die Menschen sogar im Außenbereich der Synagoge getanzt. Die Polizei habe geholfen und Straßenzüge abgesperrt.

Konkrete Sicherheitsmaßnahmen in jüdischen Gemeinden seien “aus ihrer Natur heraus” vertrauliche Angelegenheiten, so Korn. Öffentlich sagt er lediglich: “Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind grundsätzlich auf sehr hohem Niveau.” Für Deutschland hieß es am Montag aus dem Bundesinnenministerium, dass aktuell keine Hinweise auf unmittelbare Bedrohungen von Jüdinnen und Juden beziehungsweise jüdischen oder israelischen Einrichtungen vorlägen. Und: Dem Ministerium waren bis Montagnachmittag keine Erkenntnisse zu Vorfällen gegen Einrichtungen oder Jüdinnen und Juden bekannt.

Am Wochenende sagte der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, der “Rheinischen Post”, dass die Vergangenheit gezeigt habe, “dass immer, wenn im Nahen Osten die Spannungen zunehmen, ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, wodurch die jüdische Bevölkerung in Deutschland in Kollektivhaft genommen und für israelisches Regierungshandeln verantwortlich gemacht wird”.

Daher begrüße er es sehr, dass die Bundesregierung bereits gehandelt habe und das Sicherheitskabinett einen verstärkten Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen in Deutschland beschlossen habe.

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem anschließenden Krieg im Nahen Osten ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland sprunghaft gestiegen. Für 2024 meldete das Bundeskriminalamt bei den Delikten einen neuen Höchststand: um knapp 21 Prozent auf rund 6.200 (Vorjahr: 5.200).

Ein Abstecher in Richtung Norden: Auch in der deutlich kleineren Gemeinde im niedersächsischen Hameln ist die Stimmung angespannt, wie Rabbinerin Ulrike Offenberg sagt. “Unsere Sicherheitsvorkehrungen sind hochgefahren.” Am Schabbat seien die Gottesdienste weniger stark besucht gewesen – den Anwesenden sei es wichtig gewesen, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein.

Frankfurt ist ein wichtiges Verkehrsdrehkreuz, auch für Reisende mit Ziel Israel. Vom Flughafen startet die israelische Fluglinie El Al – die momentan aber genauso wie andere Airlines das Land nicht ansteuern kann, weil der Luftraum für den Zivilflugverkehr gesperrt ist. Daher sind auch in Frankfurt Israelis gestrandet.

“Ich weiß von 40 Personen”, erklärt Korn. “Die meisten sind offenbar in der Lage, sich selbst zu helfen.” Wer es wünsche, erhalte in der jüdischen Gemeinde Beratung oder eine Hotel-Vermittlung. Und wer am Freitag und Samstag noch in der Stadt sein sollte, sei herzlich zu den Schabbatfeiern und Gottesdiensten eingeladen. Das Rabbinat stehe bei Bedarf für die Seelsorge zur Verfügung.

In Hameln nimmt Rabbinerin Offenberg demnächst eine Person auf, die gerade nicht nach Israel kann. Und umgekehrt seien Gemeindemitglieder in Israel gestrandet. Sie hätten eigentlich zu einer Hochzeit gewollt – die wie andere Veranstaltungen unter Beschuss nicht ausgerichtet werden konnte.

Die Europäische Rabbinerkonferenz hatte unlängst Gemeinden in Europa dazu aufgerufen, ihre Türen für festsitzende Israelis zu öffnen, ihnen bei Unterkünften, Mahlzeiten und Kinderbetreuung zu helfen. Die Pforten in Frankfurt sind geöffnet.