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“Sorda” – Wenn eine gehörlose Mutter sich ausgeschlossen fühlt

In dem Film “Sorda” bekommt eine gehörlose Frau mit ihrem hörenden Partner ein Kind – und entdeckt, dass die Gesellschaft ihr als Mutter jede Menge Steine in den Weg legt.

Ángela ist mit ihrem Leben eigentlich zufrieden. Die gehörlose Enddreißigerin (Miriam Garlo) lebt in einer liebevollen Ehe mit ihrem hörenden Mann Héctor (Álvaro Cervantes) zusammen, der die Gebärdensprache erlernt hat. Auf der Arbeit ist die Keramikerin in ihr Team eingebunden und fühlt sich angenommen und respektiert. Einige ihrer Kollegen können gebärden; sie selbst ist in der Lage, von den Lippen der anderen zu lesen.

Als Ángela schwanger wird, freut sie sich mit Héctor auf das Baby. Ihre Eltern sind weniger angetan und haben Angst, dass ihr Enkelkind auch gehörlos werden könnte. Eine Ärztin schätzt diese Möglichkeit auf 50 Prozent. So lastet bereits vor der Geburt viel Druck auf der werdenden Mutter.

Auch die Geburt gestaltet sich schwierig. Da Ángela die Schwestern nicht versteht, wenn sie sie nicht direkt ansehen oder wenn sie eine Maske tragen, erleidet sie neben den physischen Schmerzen zusätzlichen psychischen Stress. Doch das Kind ist gesund und hört. Die Großeltern sind glücklich, der Vater auch, doch Ángela fühlt sich zunehmend an den Rand gedrängt. Während sie bei der Türklingel oder dem Telefon einen visuellen Alarm installiert hat, ein rot blinkendes Licht, kann sie ihre kleine Tochter nicht hören, wenn sie ihr den Rücken zuwendet.

Doch vor allem leidet die Beziehung von Ángela und Héctor. Sie fühlt sich von ihrem Mann nicht ausreichend unterstützt und wirft ihm unter anderem vor, dass er mit dem Kind lediglich verbal kommuniziere, aber nicht gebärde. Héctor wiederum ist bei der Erziehung und im Haushalt sehr aktiv und findet, dass Ángela sich nicht ausreichend um das Baby kümmere. Denn sie flüchtet sich in Arbeit, um Konflikten zu Hause zu entkommen.

Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Libertad widmet sich auf anschauliche Weise einem komplexen Thema. Ohne zu dramatisieren, stellt sie eine Protagonistin in den Mittelpunkt, für die die alltägliche Kommunikation schwierig ist. Bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung liegt in den westlichen Gesellschaften noch einiges im Argen.

Sobald Ángela ihre “Safe Spaces” verlässt, schlägt ihr Unverständnis entgegen. Wenn sie und Héctor hörende Freunde einladen, kann sie sich nur unzureichend mitteilen oder ist auf ihren Mann als Übersetzer angewiesen. Auch in der Kinderkrippe ist Ángela unter den anderen Müttern isoliert. Ihr Hörvermögen reicht selbst mit akustischer Hilfe kaum für Sprache aus. Also schauen die anderen Mütter leicht irritiert und geben sich keine besondere Mühe, Ángela zu integrieren. Dasselbe passiert ihr bei Ärzten und in Behörden. Außerdem spürt sie, dass viele Menschen sie generell unterschätzen und ihr nicht zutrauen, sich ordentlich um das Baby zu kümmern.

Ganz unproblematisch ist ihre Situation mit dem Baby tatsächlich nicht, da sie nicht alle Gefahren wahrnehmen kann. Doch keiner ihrer hörenden Familienmitglieder oder Bekannten gibt sich wirklich Mühe, sie in konstruktive Lösungen einzubinden.

“Sorda” ist vor allem aus Ángelas Perspektive erzählt. Situationen von Hilflosigkeit und Frust spielt die gehörlose Schauspielerin Miriam Garlo genauso überzeugend wie Momente von Mut und die Entschlossenheit ihrer Figur. Die anfängliche Verbundenheit des Paares zeigen Garlo und Cervantes in vielen alltäglichen Situationen – in der Wohnung, beim Kochen, bei Ausflügen.

Der Film bringt viel Verständnis für Héctor auf. Er platzt vor Stolz, als die Tochter ihr erstes Wort, “agua”, sagt. Doch er traut sich kaum, es seiner Frau zu erzählen; ihre Reaktion fällt dementsprechend lauwarm aus. Sie fühlt, dass die Erfahrungen der Kleinen sich zu sehr von ihren unterscheiden und bangt um die künftige Verbundenheit mit ihrer Tochter. Zwar haben andere unterschiedlich hörende Paare vorgemacht, dass Kinder mit beiden Elternteilen gleich gut kommunizieren. Dennoch beobachtet sie, dass manche hörende Kinder sich für ihre tauben Elternteile schämen.

So entpuppt sich “Sorda” als Plädoyer für alternative Formen der Kommunikation. Der Wille dazu ist allerdings nicht übermäßig vorhanden. Das wirft Ángela auch einem Verkäufer in einem Geschäft für Hörgeräte vor. Der Laden profitiert finanziell von ihrer Beeinträchtigung, doch der Mitarbeiter kann nicht gebärden und reagiert unwirsch auf ihre Sprechversuche.

Während ein Film wie “Jenseits der Stille”, der vor allem ein Wohlfühlambiente verbreitet, es seinerzeit nicht schaffte, mit Untertiteln für ein gehörloses Publikum im Kino zu laufen, findet “Sorda” einen überzeugenden Dreh: Die Zuschauer nehmen die Welt akustisch so wahr wie Ángela. Das bedeutet keine vollkommene Stille, aber eben nur angedeutete oder verzerrte Geräusche. Wenn Ángela in der Kita ihre Hörgeräte einsetzt und versucht, Sprache zu verstehen, scheitert sie. Denn das Gerät verstärkt alle Geräusche: Stühle werden gerückt, auf Töpfe eingeschlagen – und schon verschwimmt für Ángela alles in einer Kakophonie aggressiver Geräusche. Also nimmt sie die Hörgeräte wieder heraus.

Dennoch entlässt der Film die Zuschauer nicht ohne Hoffnung. Hörenden muss klar werden: Das Streben nach vollkommener Anpassung an die hörende Welt, etwa durch unzureichende Hörgeräte, bringt Gehörlosen nichts. Nur Kommunikation in erweiterter Form, Verständnis und Geduld können Menschen wie Ángela weiterhelfen und auch den Horizont der Hörenden erweitern.