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Sommer, Sonne, Sinnlichkeit

Aus Erde und Gottes Atem ist der Mensch geschaffen – „sehr gut“, so erzählt es die Bibel. Aber der Leib, in dem er lebt, hatte im Christentum lange einen schweren Stand

Jenny Sturm - stock.adobe.com

Ein lauer Sommermorgen: Fest für alle Sinne. Die Luft noch kühl; Tautropfen auf den Blättern; Vogelgesang und Duft nach feuchter Erde, Blumen und Gräsern. Später am Tag dann ein Sprung in irgendein kühles Wasser, ein Schwimmbad, eine kurze, erfrischende Dusche. Und abends Zeit, um ein gutes Essen im Biergarten oder auf dem Balkon zu genießen.
Sommer – wann, wenn nicht jetzt, wäre Zeit für das Lob der Schöpfung, die so überwältigend zu hören, zu fühlen, zu sehen und zu riechen ist? Und für einen Dank an Gott für Sinne und Sinnlichkeit, mit denen er uns geschaffen hat?
„Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin“, betet jemand in Psalm 139. Gemeint ist der ganze Mensch, Frau und Mann, Ebenbild Gottes, eine Einheit von Leib, Seele und Geist. Diesen Menschen hat Gott aus Erde geschaffen und ihm das Leben eingehaucht.
Sinne, Sinnlichkeit, Körperlichkeit – all das gehört zum Menschen, und das ist „sehr gut“, wie Gott selbst urteilt. Die Psalmen preisen die Welt, die mit allen Sinnen wahrgenommen wird. Die hohe Wertschätzung der Gastfreundschaft, des gemeinsamen Essens und Erholens, zeigt, wie sehr im Alten Testament die Bedürfnisse des Köpers wahrgenommen wurden. Und ein Buch wie das Hohelied der Liebe, in dem Erotik und Sinnlichkeit in vielfältiger Form gefeiert werden, spricht für sich: Leiblichkeit ist keine Sünde, sondern eine gute Gabe Gottes.

Keine Sünde, sondern gute Gabe Gottes

Im Christentum jedoch hatte der Leib lange Zeit einen schweren Stand. Er wurde unter dem Einfluss griechischer Philosophie zum unreinen Gegensatz der reinen Seele. Begierde, Lust, ja, die Sünde schlechthin hatten hier ihren Sitz. Besonders auf den weiblichen Körper hatten es die Theologen der Alten Kirche dabei abgesehen: Alles Weibliche diene nur dem einen Zweck, den Mann zu verführen. Und da der Kirchenvater Augustin die sexuelle Begierde als Einfallstor der Sünde ansah, hatte man mit den Frauen auch gleich die Schuldigen für die Übertragung der Erbsünde ausgemacht.
Das trug nicht eben zu einer positiven Theologie der Leiblichkeit bei, weder für Männer noch für Frauen. Was Lust machte, war verpönt; nicht nur im Bereich der Sexualität, sondern auch in anderem sinnlichen Erleben.
Ein gutes Essen genießen? Völlerei! Jemanden berühren? Wollust! Dem Körper Aufmerksamkeit schenken, ihn waschen, pflegen, gesund erhalten? Götzendienst! Alles, was nicht auf die rein geistliche Suche nach Gott gerichtet war, wurde voll Misstrauen als Ablenkung vom Eigentlichen betrachtet. Versuche, die göttliche Schönheit der Sinnlichkeit neu zu entdecken – etwa durch die erotische Frauenmystik des Mittelalters –, endeten nicht selten in einer Anklage wegen Ketzerei. Und weder Martin Luthers reformatorische Theologie noch die pietistische Frömmigkeit oder die auf den Verstand fokussierte Aufklärung trugen dazu bei, dem Leib sein Recht im Leben und im Glauben einzuräumen.
Erst im 20. Jahrhundert änderte sich das. Der Körper als Gottes gute Schöpfung und Wohnort des göttlichen Geistes wurde wiederentdeckt. Maßgeblich beteiligt waren feministische Theologinnen, die die Trennung von Leib und Seele kritisierten. Nur im Körper ist Leben möglich, betonten sie. Es geht Gott nicht nur um eine körperlose Seele. Er hat uns als leibliche Wesen geschaffen, und das dürfen wir feiern und genießen. Und so entstanden Gottesdienste und andere spirituelle Formen, in denen getanzt und gegessen wurde, in denen der Körper berührt, gesalbt und umarmt wurde. „Der Körper (ist) Gottes gute Schöpfung, dem frau und man nicht misstraut, sondern vertraut, mit dem wir erfahren, in dem wir den anderen begegnen, mit dem wir fühlen und denken“, schrieb etwa die Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel.
Um das zu tun, könnte es in vielen Gottesdiensten ruhig noch etwas sinnlicher zugehen. Der Körper, in dem wir unser Leben verbringen, dürfte ruhig noch etwas mehr liebevolle Wertschätzung erhalten – nicht nur dann, wenn er den perfektionistischen Ansprüchen einer Jugendkultur entspricht. Und die einfachen leiblichen Freuden – ein Moment der Stille auf einer Parkbank, eine herzliche Umarmung, ein Glas Wein bei einem guten Gespräch – dürften ruhig noch mehr Raum in unserem Leben bekommen. Ohne Körper gäbe es das nämlich nicht, das Leben.