Sofia Coppola taucht mit ihren Filmen tief in die Geschichte der amerikanischen Popkultur und entwickelt mit gezielten Perspektivwechseln eine eigene weibliche Filmsprache. Auch in ihrem neuen Werk “Priscilla”.
Rund 25 Jahre, nachdem sie mit “The Virgin Suicides” erstmals von sich reden machte, sorgt Sofia Coppola mit ihrem neuen Film “Prisiclla” (ab 4. Januar in den deutschen Kinos) für Aufsehen. Einmal mehr setzt sich die Filmemacherin darin mit einer weiblichen Coming-of-Age-Geschichte auseinander und blickt aus weiblicher Perspektive auf ein Stück Popkultur. Mit ihren Arbeiten ist sie zur Wegbereiterin für eine neue Generation von Filmemacherinnen mit eigenen Perspektiven, Visionen und Ausdrucksweisen geworden.
Ein Bekleidungsgeschäft wird zum Laufsteg und damit zum Ort einer Metamorphose. Genau hier ist schon in vielen Filmen aus dem unscheinbaren Mädchen von nebenan eine Prinzessin geworden. Für die 14-jährige Priscilla Beaulieu geht dieser Traum sogar noch etwas wörtlicher in Erfüllung, denn vor der Umkleide wartet der King of Rock’n’Roll. Mit seiner Entourage lümmelt Elvis Presley auf Plüschsofas herum, und die Männer mustern das Mädchen von oben bis unten, wenn es in einem neuen Outfit auftritt. Schüchtern und doch geschmeichelt steht die junge Frau im Rampenlicht.
Die amerikanische Filmemacherin Sofia Coppola lugt in ihrem neuen Film “Priscilla” hinter die Kulissen dieses Teenagertraums der Marke Elvis Presley. Sie rückt dabei jedoch die Perspektive seiner späteren Ehefrau in den Fokus. Als Priscilla und Elvis sich 1959 kennenlernen, ist sie erst 14, er 24 und schon ein Megastar. Da prallen Welten aufeinander, die gegensätzlicher nicht sein könnten, und es entsteht von Anfang an ein ungleichgewichtiges Machtverhältnis zwischen erwachsenem Mann und minderjährigem Mädchen, zwischen Star und Fan, zwischen neureichem Aufstieg und bürgerlicher Herkunft.
Das Biopic basiert auf Priscilla Presleys 1985 veröffentlichter Autobiografie “Elvis and Me”. Sofia Coppola interessiert sich jedoch weniger für die faktische Überprüfbarkeit der Popgeschichtsschreibung als für die Entstehung der allgegenwärtigen Bilder – die Inszenierung, die dahinter liegende Erwartungshaltung, das Streben nach Perfektion. So wird die Geburt dieser Ikone in “Priscilla” zu einem ambivalenten Ereignis und macht die alles bestimmende Maske sichtbar: Priscilla, die zukünftige Queen of Rock’n’Roll, auf dem Reißbrett einer größer angelegten Marketingstrategie entworfen.
Szenen wie diese spielen in Sofia Coppolas Filmen immer eine wichtige Rolle: Anproben von Kleidern, Frisuren und Make Up sind auch immer auch ein Ausprobieren von Identitäten – und vom Versprechen, dass diese einen anderen Menschen kreieren können. Auch hier interessiert sie weniger der unumstößliche Tatbestand als die emotionalen und sozialen Mechanismen, die am Werk sind.
In “Priscilla” re-inszeniert Coppola nicht nur ikonische Fotos des Ehepaars, sondern auch die Entstehung ebenjener Bilder aus Priscillas Sicht: Die Traumhochzeit vor sechsstöckiger Torte, der erste Schritt aus der Entbindungsklinik in perfektem Outfit und Make Up – und eine ganze Serie von offiziellen Familienfotos vor goldenem Vorhang. Auf den Bildern strahlen Elvis, Priscilla und die noch kleine Tochter Lisa-Marie in die Kamera. Zwischen den Knipsern des Fotografen jedoch zeigt Coppola einen Elvis Presley, der als einziger auf einem Sessel platziert ist. Frau und Kind bringt er wie Requisiten in Position, um sich selbst als Familienmenschen zu inszenieren. Priscilla kniet, hockt und lehnt angestrengt neben ihm und lächelt statt von Herzen nur auf Knopfdruck.
Erstaunlich heutig wirken diese Szenen, denn sie erinnern an die ironischen Making-ofs von scheinbar perfekten Social-Media-Inszenierungen – “Insta vs. Reality” mit Elvis und Priscilla sozusagen. Ihr Traum vom Prinzessinnendasein an der Seite des Kings ist schon früh von Dissonanzen durchzogen. Elvis glorifiziert das Mädchen zur engelhaften Kindfrau und macht sie zum Accessoire seines Stils. Für Priscillas eigene Persönlichkeit ist kein Platz vorgesehen.
Wie die anderen Frauen in Sofia Coppolas Filmen ist sie sich bewusst, dass Männer sie immer und überall anschauen und beobachten. Nur wenn sie unter sich sind, können sie die Masken fallen lassen. Für Priscilla wird selbst das irgendwann ein Ding der Unmöglichkeit, da sie im paradiesischen Graceland einsam auf Elvis warten muss, während dieser sich auf Tour selbst verwirklicht. Die junge Frau ist letztlich auf sich selbst zurückgeworfen.
Die Schwierigkeiten beim Navigieren zwischen privaten und öffentlichen Rollen, als Tochter, Ehefrau, Mutter, Model und Filmemacherin kennt Coppola selbst nur zu gut, stammt sie doch aus einer royalen Hollywood-Familie. Ihr Vater Francis Ford Coppola läutete mit Filmen wie “Der Pate” (1972) und “Apocalypse Now” (1979) ein neues Hollywood-Zeitalter ein und dominierte somit auch die Wahrnehmung seiner Tochter. Erste schauspielerische Versuche führten für Sofia Coppola vor die Kamera ihres Vaters, allerdings lange belächelt; ihr Auftritt in “Der Pate III” (1990) wurde als eine der schlechtesten schauspielerischen Leistungen verhöhnt.
Der Clou an ihrem Zugang jedoch ist, dass sie solch bestimmende Figuren weniger zu Antagonisten formt, sondern die Frauenfiguren zu treibenden Kräften entwickelt, die auch ihre Ehemänner und Väter mitreißen. Coppolas Männerfiguren sind zwar oft in der Krise, aber immer selbstverschuldet, auch wenn sie das natürlich anders sehen.
Coppolas Fokus hat sich mit den Jahren von den Vätern auf die Töchter verlagert, in einer natürlichen Fokusverschiebung und Weiterentwicklung der Frauenfiguren. Aus Teenagern sind erwachsene Frauen geworden, während die Männer meist unreif bleiben. Auch Elvis wird durch Priscillas Augen zum Muttersöhnchen, das immer seine Eltern anruft, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich vorgestellt hat. Die Frauen erkennen schneller, dass sie erst zu sich selbst finden können, wenn sie aufhören, auf die Männer zu warten, und anfangen, selbstbestimmt zu handeln.
Marie Antoinette im gleichnamigen Film von 2006 und Priscilla sind damit sicherlich auch Vorreiterinnen für Greta Gerwigs “Barbie” (2023) über die Weltherrschaft einer als Anziehpuppe vermarkteten Frau – ein Film, der Sofia Coppola viel zu verdanken hat, sowohl in seiner ironischen Haltung und haarscharfen Analyse als auch in seiner Filmsprache voller überbordender Visualität und dem lustvollen Eintauchen in Popkultur aus weiblicher Sicht.
Sofia Coppola, das wird nun 25 Jahre nach ihrem ersten Film endlich deutlich, ist eine Wegbereiterin für eine neue Generation von Filmemacherinnen mit eigenen Perspektiven, Visionen und Ausdrucksweisen, einer eigenen Filmsprache.
Coppolas Blick auf die Frauen ist lebensnah und fantasievoll zugleich, weil er aus eigener Erfahrung stammt. Sie gießt die Sorgen, Nöte und Ängste, aber auch die Interessen, Träume und Schwärmereien in Bilder und Sounds, die historisch frei flottieren und gerade deshalb die generationenübergreifenden Emotionen ihrer Figuren so genau treffen. Und so ist es nur folgerichtig, dass sich in Priscillas einsamem Leben auf Graceland zwar an der Oberfläche alles um die Hochs und Tiefs des Kings of Rock”n”Roll dreht. Elvis taucht jedoch kaum auf – und deshalb auch kein einziger seiner Songs.