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Sir Patrick Stewart alias Captain Picard zum 85.

Nach einer unglücklichen Kindheit ging er als Shakespeare-Darsteller in seinen Rollen auf. Und oft wurde Patrick Stewart später dann tatsächlich, was er darstellte.

Während draußen im Weltraum vor seinen Augen die Endschlacht gegen die Borg tobt, hat er in seiner Kajüte die “Grande Messe des Morts” von Hector Berlioz aufgelegt. Und während er dem Getümmel aus dem Halbdunkel schweigend nachsinniert, trinkt er sein unvermeidliches Lieblingsgetränk aus dem Replikator: “Earl Grey, heiß!” Jean-Luc Picard ist ein Captain mit Stil. Ein Mann, wie er im Logbuche steht. Und ein Symbol für – ja, für was? Am Sonntag (13. Juli) wird Sir Patrick Stewart alias Enterprise-Captain Picard 85 Jahre alt.

Die Entscheidung der US-Serienmacher, gegen den Widerstand von Star-Trek-Vater Gene Roddenberry den englischen Shakespeare-Darsteller Stewart 1986 zum Nachfolger des legendären Enterprise-Ur-Käpt’n William Shatner alias James T. Kirk aus den 60er Jahren auf die Brücke zu holen, war Gold wert. Wo Shatner/Kirk für den reinen mutig-waghalsigen Tatmenschen stand, der oft von den Herz- und Kopf-Offizieren “Pille” McCoy und Mister Spock eingefangen werden musste, steht Picard für Entschlossenheit, Substanz und Tiefgang zugleich. Einem wie ihm kann man das Überleben der Menschheit getrost anvertrauen.

Dabei hat auch ein Captain Picard durchaus Ecken und Kanten: ein Mann mit Geschichte, mit Verletzungen, tiefen Gefühlen und unterdrückter Leidenschaft. Um das glaubhaft auf die Mattscheibe zu bringen, braucht es schon einen Klasseschauspieler. Dafür durfte Stewart sogar seine britische Aussprache behalten und musste nicht auf Amerikanisch umerzogen werden.

Dass er Härte und emotionale Achterbahnfahrten zugleich verkörpern kann, ist bei Patrick Stewart auch biografisch angelegt. Am 13. Juli 1940 in Yorkshire geboren, wurde er als Kind häufig Zeuge, wie sein kriegstraumatisierter Vater die Mutter verprügelte – weshalb er sich bis heute mit einem Verein gegen häusliche Gewalt und für Stressbewältigung engagiert.

Ein Grund auch, warum er sich nach frühem Schulabbruch und frühen Jahren als Journalist für die Schauspielerei entschied: “Ich wollte nicht mehr Patrick Stewart sein. Ich wollte jemand anderes werden”, gestand er einmal in einem Interview. Seit 1966 ist er Darsteller der Royal Shakespeare Company, bis 1982 im Schauspieler-Kernteam und auch nach seiner Picard-Karriere immer wieder in Stratford-upon-Avon und im Londoner Westend.

In der Kult-Verfilmung des “Kleinen Lord” von 1980 spielte er den Stallmeister Wilkins, in einem US-Biopic über Papst Johannes Paul II. von 1984 einen polnischen Parteisekretär der 1970er Jahre. Und für seine Vertonung von “Peter und der Wolf” erhielt er 1996 einen Grammy.

Mehr als ein Mal wurde Stewart später auch tatsächlich, was er darstellte. Jahre, nachdem er 2003 den Picard an den Nagel gehängt hatte, wurde er noch einmal befördert: vom Captain der Sternenflotte zum Ritter Ihrer Majestät. Die Queen machte aus dem Soldatensohn im Juni 2010 “Sir” Patrick Stewart, Offizier des Order of the British Empire. Und Stewart als geheimnisvoller Professor Charles Xavier aus den “X-Men” wurde später tatsächlich Professor – für Schauspielerei.

Stewarts meistgesprochene Frage als Captain Picard war wohl: “Wie lang wird das dauern?”, meist gefolgt von dem Befehl: “Machen Sie es so!” Die Antwort in seinem Fall war: 2003, nach 16 Jahren, hielt er die Rolle des Picard für auserzählt – und zugleich schienen Picard und er miteinander verwachsen. “Kein Hollywood-Regisseur wollte mehr diesen glatzköpfigen Briten mit der tiefen Stimme casten, weil der doch Picard war und niemand anderes sein konnte”, sagte er später der “Times”.

2018 jedoch überraschte er die Fangemeinde mit einem Comeback aus dem Ruhestand. In der Serienfortsetzung “Star Trek: Picard” (2020-2023) spielte der pensionierte Captain der Enterprise einen grumpigen alten Mann auf einem Weingut, der sich doch wieder reaktivieren lässt – weil die Mission stimmt. Stewart wollte keine Sternenflotten-Uniform mehr tragen. Dafür soll er eine Flüchtlingskrise im All lösen, ohne Segen oder Unterstützung der Sternenflotte oder der Enterprise – “mit kleinem Team und kleinem Raumschiff”.

Eine Rolle, die durchaus seinen politischen Überzeugungen entspricht. Traditionell unterstützt Stewart die britische Labour Party. Von US-Präsident Donald Trump fühlt sich der Wahl-New-Yorker um den Multilateralismus betrogen, von Boris Johnson um seinen Status als EU-Bürger, auf den er “sehr stolz” gewesen sei. An beiden Politikern verachtet er ihre geplant eingesetzten Lügen.

Mit 85 Jahren kann Patrick Stewart – auch als Patrick Stewart – auf eine reiche Lebenserfahrung zurückblicken, trotz einer langwierigen Arthritis. Mehrfach war er verheiratet, mit prominenten Trauzeugen wie seinem Enterprise-Mitstreiter “Data” Brent Spiner und dem “Gandalf” aus dem Herrn der Ringe, Sir Ian McKellen, an der Seite.

Der berühmte Trekkie-Gruß des Vulkaniers Spock lautet: “Live long and prosper” (“Lebe lang und in Frieden”). Dem Jubilar zwischen Weltraum und Pensionierung möchte man mit seinen eigenen, stets entschlossenen Worten zurufen: “Machen Sie es so!”