Leni Riefenstahl wurde mit dem Parteitagsfilm “Triumph des Willens” zu Hitlers Hofregisseurin. Später wollte sie sich als unpolitische Künstlerin darstellen. Die Doku spürt dem Weiterwirken ihrer Filme bis heute nach.
Eine Kamerafahrt über glitzernde Bergkristalle. Dann ein schönes Gesicht im Profil. Die ersten Clips in Andres Veiels Dokumentarfilm “Riefenstahl”, der am Donnerstagabend in beim Filmfestival in Venedig seine Weltpremiere feierte, stammen aus dem Bergfilm “Das blaue Licht” von 1932. Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl stand auch als Regisseurin im Vorspann, aber erst, als 1933 jeder Hinweis auf die Mitarbeit des Juden Bela Balazs getilgt war.
Im weiteren Intro des “Riefenstahl”-Porträts, das ab 31. Oktober im Kino läuft, jagen unidentifizierbare Filmstreifen vorbei, die die schiere Materialfülle markieren – etwa von Hitler, NS-Aufmärschen und olympischen Wettkämpfen. Später tauchen Familienfotos auf, und man bekommt eine Ahnung davon, warum Leni Riefenstahl wurde, wie sie war – und warum sie bis zuletzt so blieb: eine überzeugte Nationalsozialistin in der Maske der schönheitstrunkenen Grande Dame, die schon aufgrund ihres Alters – sie starb 2003 im Alter von 101 Jahren – unantastbar wirkte.
Nach 1945 gelang ihr die wundersame Verwandlung in eine unpolitische Künstlerin und sogar in die verfolgte Unschuld. Ihr Kampf bestand fortan darin, der Öffentlichkeit Halb- und Unwahrheiten über ihre Nazi-Vergangenheit aufzutischen, und Menschen, die hartnäckig nachhakten, mit Unterlassungsklagen mundtot zu machen.
Sandra Maischberger, die Produzentin von “Riefenstahl”, hat erzählt, wie sie sich 2002 bei einem Interview von der “lieben Greisin” einwickeln und belügen ließ. Da aber viele Fragen offenblieben, bemühte sich Maischberger 2017 um den Nachlass in den 700 Kisten, die an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz überstellt worden waren. Sie bot der Stiftung eine aufwendige, von Fachleuten unternommene Inventur des Nachlasses an, um im Gegenzug einen Dokumentarfilm produzieren zu können. 2018 stieg Andres Veiel als Regisseur in das Projekt ein.
Das Arbeiterkind Leni, das sich erst als Ausdruckstänzerin versuchte, dann als Schauspielerin durch Bergfilme kraxelte, als Jungregisseurin sogar Hollywoodgrößen wie Chaplin begeisterte und dann für Hitler Propagandafilme drehte: Ist das nicht ein sensationeller Spielfilmstoff, ein gefundenes Fressen für Hollywoodstars wie Jodie Foster und Sharon Stone, die beide Riefenstahl verkörpern wollten?
Warum scheiterten die Spielfilmprojekte? “Weil es keinen dritten Akt gibt”, antwortet Veiel, “denn die Katharsis bleibt aus, die zur Heldenreise dazugehört. Nach einer starken Exposition und einem bunten zweiten Akt bleibt die weitere Entwicklung aus.”
Ist das Kunst oder kann das weg? Die Frage läuft bei Riefenstahl ins Leere, weil ihr Bildkonzept bis heute fortwirkt, nicht nur in Werbeclips und Sportreportagen. Das Leitmotiv des Dokumentarfilms ist deshalb die Kontinuität einer faschistischen Ästhetik und damit einer Haltung und Weltwahrnehmung, die das Hässliche, Schwache, Fremde, Andere hinter einer “schönen” Oberfläche verschwinden lässt.
Mit großer Sensibilität dosiert der Film die Originalausschnitte. Es gibt kurze Momente, in denen man die perverse Faszination ihres Parteitagsfilms “Triumph des Willens” spürt. Insgesamt ja ein verblüffend langweiliger Film. Doch die ikonischen Bilder wirken fort – ein zentrales Thema von Veiels “Riefenstahl”.
Interessanterweise scheut er dabei aber Kontextualisierungen, etwa Vergleiche mit Putins Paraden oder Donalds Trumps Selbstinszenierungen. Es wären schiefe Vergleiche, doch das Publikum zieht sie vielleicht trotzdem – und nicht zu Unrecht.
In einer Szene aus Heinrich Breloers “Speer und Er” denkt die greise Riefenstahl laut über faltenmildernde Lichtsetzung nach. Und man könnte von ihrem Werk aus, das nicht zuletzt in ihrem “Olympia”-Film den Kult des perfekten Körpers zelebriert, durchaus Parallelen zu Instagram-Filtern und dem aktuellen Schönheitswahn ziehen – mit der Kehrseite des Bodyshamings für alle, die nicht der Norm entsprechen.
Der Film zeigt auch, dass Riefenstahl Menschen aufs Schäbigste ausnutzte. Besonders krass im Fall der Sinti und Roma, die sie als Statisten für ihren “Tiefland”-Film missbrauchte – und dann gegen besseres Wissen behauptete, sie habe alle nach dem Krieg wiedergesehen. In Wahrheit wurden mehr als die Hälfte von ihnen in Konzentrationslagern ermordet.
“Riefenstahl” ist der Täterin besonders dort dicht auf den Fersen, wo es um die Ereignisse in Konskie in Polen geht, wo Riefenstahl als Leiterin eines “Sonderfilmtrupps” 1939 (nicht nur) Augenzeugin eines der ersten Wehrmachtsverbrechen wurde. Sie bestritt dies, aber Fotos, auf denen sie mit schreckgeweiteten Augen zu sehen ist, beweisen, dass sie dabei war, als Juden auf dem Marktplatz erschossen wurden. Veiel geht aber noch weiter, indem er einen weiteren Zeugen zitiert, der gehört haben will, wie Riefenstahl beim Dreh auf dem Marktplatz gerufen habe, dass die Juden – Menschen, die sie nicht in der Filmaufnahme haben wollte – weg müssten. Möglicherweise, so Veiel, habe sie damit das Massaker mit ausgelöst.
Konskie war ein Wendepunkt in Riefenstahls Leben, der aber keine persönliche Einsicht nach sich zog, sondern eher Eskapismus. Vordergründig entfernte sie sich vom Führer und traf ihn seltener; insgeheim trieb sie aber das Projekt einer Verfilmung von Hitlers Lieblingsoper “Tiefland” voran.
Und auch mit Kriegsende schlug keine Stunde Null – schon gar nicht für Leni Riefenstahl. Dass in der angeblich unpolitischen Künstlerin offenbar bis zum Schluss eine Nationalsozialistin steckte, lassen die vielen Tonaufnahmen im Nachlass mehr als nur vermuten: Riefenstahl fertigte geradezu manisch Mitschnitte von Treffen und Telefonaten an. Davon sind einige im Film zu hören, darunter viele Sympathiebekundungen.
Die positive Resonanz auf Selbstverleugnung, fadenscheinige Mythenbildung und die (in Telefonaten) von Riefenstahl offen geäußerten rechtsextremen Ansichten verstören an “Riefenstahl” besonders.
Warum so ein Film hier und heute? Deutschland rückt nach rechts. Weltweit feiern Autokraten Erfolge. Bei genauer Betrachtung steckt ohnehin viel Gegenwart in “Riefenstahl”. Die Rede von Rudolf Hess aus “Triumph des Willens”, dass Hitler “der Garant des Friedens” sei, wäre ohne den aktuellen russischen Angriffskrieg womöglich nicht im Film.
Riefenstahls Expeditionen zu den Nuba im Sudan ab 1962 werden im Kontext des Postkolonialismus behandelt. In den ausgewählten Szenen sieht man eine Fotografin mit Herrenmenschen-Attitüde. Sie schlägt Nuba-Männer mit einem Stock und wirft Kindern Bonbons zu; alles musste nach ihrer Pfeife tanzen, damit Riefenstahl die Bilder eines von der Zivilisation unberührten Naturvolks in den Kasten bekam.
Mit unscharfen Bildern aus der Videokamera ihres 40 Jahre jüngeren Ehemanns Horst Kettner endet “Riefenstahl”. Gegen Ende ihres Lebens kehrte die Regisseurin zum Foroglio-Wasserfall im Tessin zurück, an dem sieben Jahrzehnte zuvor “Das blaue Licht” gedreht wurde. Sprühnebel füllt das Bild. Leni löst sich auf? “Ja, vielleicht wird sie vaporisiert”, sagt Veiel, “aber dieser Wasserdampf legt sich wie Mehltau auf die Gegenwart.”