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Schriftstellerin über Georgien: “MTV – nur wenn es Strom gab”

Politische Umstände, die den Alltag diktieren: Das hat auch die Jugend von Autorin Nino Haratischwili geprägt. Heute sind ihr Widersprüche und Zwischentöne im literarischen Schaffen um so wichtiger.

Nino Haratischwili (41), georgisch-deutsche Schriftstellerin, vermisst in Georgien die Möglichkeit für gemäßigte Debatten über Politik. “In fast allen postsowjetischen Ländern fehlt diese Erfahrung: Wir müssen uns nicht die Köpfe einschlagen, nur weil wir nicht einer Meinung sind”, sagte Haratischwili der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Juni-Ausgabe). Es gebe schnell ein Entweder-Oder: “Entweder bist du mein Freund und komplett meiner Meinung oder du bist mein Feind.”

Über Jahrzehnte sei Politik für die Menschen in Georgien nicht einfach “das Hintergrundrauschen in den Nachrichten” gewesen, erklärte die Autorin, sondern für jede und jeden Einzelnen bedeutsam. “Sie beeinflusst alles, ob du Brot hattest oder Strom. Du warst automatisch ein Teil von ihr.” Über manche Erfahrung könne sie mit Menschen, die in Deutschland aufgewachsen seien, nur schwer sprechen: Sie erinnerten sich bei den 1990er Jahren an MTV und Discos, sie selbst spreche dagegen “von Kalaschnikows und Panzern. Bei mir gab es auch Discos und MTV, aber nur, wenn es Strom gab oder gerade nicht geschossen wurde.”

Auch die Hauptfiguren ihres neuen Romans, “Das mangelnde Licht”, führten durch die extremen Umstände ein “Leben im Schnelldurchlauf”. Wichtig sei ihr zu zeigen, dass alles eine Frage der Perspektive sei, sagte Haratischwili: “Das Leben besteht aus Zwischentönen, und dazu muss man dann eine Haltung einnehmen. Menschen sind widersprüchlich und dementsprechend sind es auch ihre Beziehungen.” Gerade wenn es “ans Eingemachte geht, ist die Palette der Urteile und Wahrnehmungen riesig”.

Sie möge das “ewig Wiederkehrende, worauf wir keine endgültigen Antworten finden, egal wie viele Bücher wir schreiben und wie viel Kunst wir schaffen”, sagte die Autorin, die auch Regie am Theater führt. Seit den griechischen Tragödien habe sich nicht viel getan: “Es geht immer noch um Vergeltung, Rache, Familie, Liebe, Eifersucht, Macht. Und es wird, glaube ich, auch noch in 2.000 Jahren so sein.” Es gehe weniger darum, Antworten zu finden, sondern um das Wissen, nicht allein mit diesen Themen zu sein: “Es ist tröstlich, dass sich vor mir Menschen diese Fragen gestellt haben und diese auch nach mir stellen werden.”