Die Szene ist legendär: Gemeinsam mit 30 Gefährten und Verwandten klopft im Frühling 1113 ein junger Mann an die Pforte des Klosters von Citeaux in Burgund. Dort herrscht Krisenstimmung. Die radikale Reform des Benediktinertums, die der abtrünnige Abt Robert von Molesme 1098 mit seiner Neugründung Citeaux anstrebte, war an einem toten Punkt angelangt. Zu hart schien das asketische Leben, das die Zisterzienser-Mönche sich hier abverlangten, zu gering die Zahl derer, die sich ein solches Leben antun wollten. Und jetzt 30 auf einen Schlag, darunter dieser Charismatiker, dieser so wild entschlossene Bernhard.
Bernhard von Fontaines, 23-jähriger Burgunder ritterlichen Geblüts, war ein Macher. Als Citeaux aus allen Nähten platzte, zog er weiter bis in ein helles Tal in der Champagne, „clara vallis“, wo er am 25. Juni 1115, vor 900 Jahren, mit zwölf Gefährten eintraf. Das Kloster „Clairvaux“ wurde die erste Tochtergründung von Citeaux – und Bernhard, das Alphatier, wurde der Gründungsabt.
Brillanter Prediger und ungnädiger Eiferer
Aus dem Abt von Clairvaux wurde ein Berater von Päpsten und Königen. Seine Lebensgeschichte ist dem ersten Anschein nach die Geschichte einer erstaunlich gespaltenen Persönlichkeit. Fast allgegenwärtig, oftmals allzu leidenschaftlich war er in die Geschäfte der Welt verwickelt, ja er gestaltete die entscheidenden Felder der Kirchenpolitik und Theologie seiner Zeit entscheidend mit: Papstschisma und Kreuzzug, Armutsbewegung und den Umgang mit Häresien, Mystik und Scholastik.
Gleichzeitig aber blieb sein Ideal eine totale Zurückgezogenheit aus den weltlichen Angelegenheiten, aus der er durch eigene Umtriebigkeit und auf Bitten anderer immer wieder herausgerissen wurde. Bernhard selbst hat diesen Widerspruch schmerzlich empfunden und bezeichnete sich selbst einmal als „Mischwesen“, als „Chimäre seiner Generation“.
Der leibfeindliche Asket Bernhard war ein brillanter Redner, ein charismatischer Prediger und Menschenfischer – aber auch ein ungnädiger Eiferer, der mit seinen Gegnern alles andere als zimperlich umsprang. Schließlich sah er seine Sache stets als die Sache Gottes an. Der geächtete Theologe und Intimfeind Abaelard, ein Star der rationalen Methoden der philosophisch geprägten Scholastik, konnte ein Lied davon singen.
Fest steht, dass Bernhard ein ebenso schwieriger wie anziehender Charakter war. Ein konservativer Theologe, der die zeitgenössische Scholastik vielleicht deshalb so zornig bekämpfte, weil er aufgrund seiner eher traditionellen Schulbildung zwar bibeltheologisch brillant war, aber die Welt nicht aus rational-wissenschaftlichem Blickwinkel denken konnte. Ein Asket bis zum Äußersten, dem sein Wahn zum Verzicht schon bald dauerhaft die Gesundheit ruinierte – wobei ihm die Kranken auf seinen zahllosen Reisen in der Hoffnung auf Heilung förmlich nachrannten.
Kreuzzüge endeten im Fiasko
Ein weiterer Widerspruch, der Bernhard ebenso erfreut wie nachdenklich gemacht haben dürfte, war der zwischen einem radikalen Armutsideal und dem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg seines Ordens. „Was immer man euch anbieten mag“, lehrte er, „weist es zurück, wenn es nicht mit eurem Heil verbunden ist.“ Und doch war es gerade seine eigene moralische Autorität, die den Zisterziensern geistliche Berufungen und vom Adel geschenkte Ländereien nur so zufliegen ließ.
Und so nahm auch hier, ebenso wie bei den von Bernhard so scharf kritisierten Reformbenediktinern von Cluny, bald die Last weltlichen Besitzes zu. Die Zisterzienser waren einfach zu gut in ihrem Metier, als dass sie mit ihren Produktionsstätten nicht bald eine übermächtige Konkurrenz zu den einfachen Bauern ihrer Region werden mussten. Bei Bernhards Tod 1153 gab es 350 Abteien, von denen 164 in ganz Europa mehr oder weniger direkt Bernhards Leitung unterstanden.
Nicht nur mit den rivalisierenden Cluniazensern, auch mit nichtbenediktinischen Ordensgemeinschaften wie den Prämonstratensern, Kartäusern und dem Ritterorden der Templer stand der Abt von Clairvaux in fruchtbarem, wenn auch nicht immer spannungsfreiem Austausch.
Es gehört zu den Widersprüchen dieses ebenso schwierigen wie magisch anziehenden Charakters, dass er landauf, landab um Teilnehmer an der „Befreiung der heiligen Stätten“ von den Ungläubigen warb, wo ihm doch Wallfahrt und Pilgerwesen be-kanntermaßen fremd waren. Wie so oft flogen Bernhard durch Predigt und zahlreiche Wunder die „Berufenen" in Scharen zu.
Das blutige militärische Fiasko des Zweiten Kreuzzugs (1146-1148) kostete ihn bei den Zeitgenossen einen Teil seiner fast überirdischen Reputation, und fortan war Bernhards politischer Zenit überschritten. Zwar wurde der Kirchenlehrer in den letzten Lebensjahren nach wie vor von Bittstellern und auswärtigen Boten überrannt, sandte seine Kanzlei weiter Briefe in alle Welt. Doch der von seinem Magenleiden Aufgezehrte war sich des herannahenden Todes sehr bewusst. Zuletzt, im 63. Lebensjahr, wünschte er ihn sogar sehnlich herbei. Er starb am Morgen des 20. August 1153.