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Schiller-Nationalausgabe nach 85 Jahren abgeschlossen

Nach fast 85 Jahren hat die Forschung ihre Arbeit an der Schiller-Nationalausgabe abgeschlossen. Im Jahr 1940 von dem Literaturwissenschaftler Julius Petersen (1878-1941) begründet, sei über drei politische Systeme hinweg das gesamte schriftlich überlieferte Werk von Friedrich Schiller (1759-1805) gesammelt und eingeordnet worden, sagte der Leiter des Goethe- und Schiller-Archivs, Christian Hain, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gefeiert werde diese „deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte“ mit einem öffentlichen Festakt am Donnerstag in Weimar.

epd: Herr Hain, was leistet die Schiller-Nationalausgabe?

Hain: Die Nationalausgabe ist eine wissenschaftliche Gesamtausgabe der Werke, Briefe und Gespräche Schillers, der Briefe an ihn und seiner Lebenszeugnisse. In ihr finden sich also die gesamten handschriftlichen und gedruckten Überlieferungen seines Werks, die mit Anmerkungsteilen zu Quellen, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie Überlieferungen, Lesarten, Erläuterungen und ausführlichem Register versehen sind.

epd: Wer stellt sich so etwas ins Regal?

Hain: Vermutlich kaum jemand. Die Edition richtet sich an das wissenschaftliche Publikum. Die Nationalausgabe findet ihren Platz in den Universitätsbibliotheken, weniger in Privathaushalten. Aber für die Schiller-Forschung ist es ein unglaublich wichtiges Instrument. Und wenn wir auf die Entstehungsgeschichte der Edition blicken, ist die Arbeit an ihr und vor allem die Fertigstellung eine Kraftanstrengung und eine unglaubliche deutsch-deutsche Erfolgsgeschichte.

epd: Inwiefern?

Hain: Der erste Band erschien 1943 zur Zeit des Nationalsozialismus. Zwischen 1945 und 1990 arbeiteten Wissenschaftler in beiden deutschen Staaten an den Folgebänden. Seit 1992 wurden die Arbeiten im Auftrag der – wie sie damals hieß – Stiftung Weimarer Klassik und des Schiller-Nationalmuseums Marbach von Norbert Oellers weitergeführt. Über all die Jahrzehnte haben es die Wissenschaftler geschafft, sich an gemeinsam festgelegte editorische Standards zu halten. Sie konnten sich damit weitestgehend politischen Wünschen und Vorgaben entziehen, die es sehr wohl gab. Das ist als Leistung nicht zu unterschätzen.

epd: Abseits von politischen Einflussnahmen – sind über einen Zeitraum von über 80 Jahren nicht Passagen aus schon lange vorliegenden Bänden veraltet? Wie geht die Werkausgabe damit um?

Hain: Nehmen wir das Vorwort zum ersten Band. Das war politisch von der NS-Ideologie durchdrungen. Das wird schon seit Jahrzehnten in Neuauflagen nicht mehr mitgedruckt. Und wo sich gezeigt hat, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aus den frühen Bänden nicht mehr haltbar waren, wurde dies in späteren Bänden nochmals aufgegriffen und als Nachträge entsprechend gekennzeichnet.

epd: Macht so etwas die Werksausgabe nicht selbst zu einem zeitgeschichtlichen Dokument?

Hain: Tatsächlich. Das beginnt schon beim Namen. Unter der Bezeichnung Nationalausgabe würde heute niemand mehr so ein Projekt starten. Andererseits stand der Name der Edition, nachdem sie einmal begonnen wurde, meines Wissens nie zur Disposition. Schon der Name sollte unser Bewusstsein dafür schärfen, auf die Deutungsarbeit und mögliche Einflussnahmen zu achten.

epd: Sie sagen, das Projekt ist abgeschlossen. Was passiert, wenn sich noch irgendwo ein unbekannter Schiller-Schnipsel findet?

Hain: Ich bin mir sicher, das wird passieren. Aber die Arbeit an der Schiller-Nationalausgabe wird deswegen nicht wieder aufgenommen. Vielleicht wird irgendwann einmal die Digitalisierung der Gesamtausgabe die Gelegenheit bieten, solche Nachträge digital einfließen zu lassen. Solche Entscheidungen liegen nicht in der alleinigen Zuständigkeit des Goethe- und Schiller-Archivs, sondern erfordern – wie bereits bei der gedruckten Ausgabe – die Abstimmung mit unseren Partnerinstitutionen, insbesondere Marbach.