Artikel teilen:

Schaulaufen in der City

Kleider machen Leute“, heißt eine bekannte Novelle von Gottfried Keller. Darin wird ein armer Schneider für einen polnischen Grafen gehalten. Wegen seiner edlen Kleidung. Der genießt die Aufmerksamkeit, so lange sie anhält.

Jetzt, wo es allmählich sommert und Leichtes, Luftiges, vor allem Buntes wolligwarme Wintersachen aus dem Kleiderschrank verdrängt, erinnern einige Flaneure in der City an die literarische Figur. Etwa die zarte Dame, die gräflich stolz soeben vorüberschwebt, gehüllt in ein edel fließendes Gewand, farbleuchtend wie ein indischer Sari.

Manches in der Fußgängerzone zur Schau gestellte Outfit offenbart Humor derer, die drin stecken. So bei der T-Shirt-Betuchten, dessen Aufdruck verrät, wer da unterwegs ist: „Germany‘s Next Supermobbel“. Oder der farbenfroh verkündet: „Ich bin nicht zickig. Du tust nur nicht, was ich sage.“ Ungewollt für Heiterkeit sorgt, wenn jenseits von Balkon und Garten Getragenes die These bestätigt: Steigt die Außentemperatur, sinkt umgekehrt proportional ästhetisches Selbstempfinden. 

So wie vor Jahren bei dem von der Hochsommersonne bereits leuchtend rot verbruzzelten Urlauber vor einem Museum. In der Linken die mit Flyern aus dem Bildungstempel gefüllte Plastiktüte. 

Das Spannendste an ihm: sein Hemd. Dessen geschlossene Knopfleiste wirkte in der Mitte wie abschussbereit nach vorne gewölbt. Körperabwärts folgte – die Bermudashorts. Nicht etwa klein-, sondern großkariert. Das Ganze mühsam zusammengegürtelt. Die tennisbesockten Stachelbeine steckten – in Sandalen. Oder waren‘s Flip-Flops?

Was soll‘s? Er schien‘s zufrieden. Und wäre Gottes Welt nicht deutlich ärmer ohne solche Typen: die Skurrilen, die Bunten, die Schrägen?