Es ist ein Eklat: Ein Minister wendet sich gegen eine Tagung orthodoxer europäischer Rabbiner in Sarajevo. Auch aus der Politik werden jetzt Rufe nach Konsequenzen für den EU-Beitrittskandidaten Bosnien-Herzegowina laut.
Die Europäische Rabbinerkonferenz (CER) hat nach Boykottaufrufen und einer Ausladung durch das Tagungshotel eine hochrangige Versammlung in Sarajevo abgesagt. Die für nächste Woche geplante Sitzung des Ständigen Ausschusses soll nun in München stattfinden, wie die CER am Mittwochabend an ihrem Hauptsitz in der bayerischen Landeshauptstadt mitteilte. “Wir sind nicht willkommen”, bedauerte CER-Präsident Pinchas Goldschmidt mit Blick auf Bosnien-Herzegowina. Der Vorgang rief scharfe Kritik hervor.
Der bayerische Beauftragte gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle, forderte, dass die EU den Vorfall in die Beurteilung des Beitrittsprozesses von Bosnien-Herzegowina miteinbeziehen müsse. Die CER und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) äußerten sich ähnlich. Die ORD verlangte am Donnerstag eine “klare Stellungnahme” des Auswärtigen Amtes, der Bundesregierung und des Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina.
Auslöser des Streits mit dem Balkan-Staat war ein Offener Brief des bosnischen Arbeits- und Sozialministers Adnan Delic. Darin schreibt er angesichts des Nahostkonflikts: “Wir dürfen nicht zulassen, dass Sarajevo zu einem Ort wird, der Völkermord rechtfertigt. Sarajevo stand und wird immer auf der richtigen Seite der Geschichte stehen – auf der Seite der Gerechtigkeit und der Menschenwürde.” Nicht zuletzt stehe Sarajevo “auf der Seite Gazas”, so Delic.
Die ORD kritisierte: “Schlimm ist, dass gar nicht mehr zwischen europäischen Juden und Israel unterschieden wird.” Gerade Sarajevo, das sich stets als Ort des interreligiösen Dialogs und der Toleranz verstehe, enttäusche zutiefst durch dieses “politische Einknicken”.
Bosnischen Medien zufolge kritisierten auch andere das geplante Treffen, darunter der frühere Großmufti Mustafa Ceric. Zudem wurden Vergleiche zwischen dem Gaza-Krieg und Bosnien-Herzegowinas eigener Vergangenheit laut: Während des Bosnienkrieges (1992-1995) hatten ethnisch-serbische Nationalisten Tausende muslimische Bosniaken getötet; Sarajevo stand monatelang unter Belagerung. Als tragischer Höhepunkt des Kriegs gilt das Srebrenica-Massaker 1995, bei dem mehr als 8.000 Menschen ums Leben kamen.
Der Direktor des Srebrenica-Gedenkzentrums, Ahmed Kulanic, unterstellte nun der Rabbinerkonferenz laut Berichten, eine “Ideologie zu fördern, die grundlegende Menschenrechte verweigert”.
In der Absage des Hotels, die der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, beruft sich das Haus auf “aktuelle Umstände” sowie “Informationen und Instruktionen der Behörden”. Die Absage wurde auch mit der Sicherheit aller Teilnehmer und dem Schutz von Hotelpersonal und Eigentum begründet.
Goldschmidt bezeichnete die Entwicklung als “Schande”. Der Oberrabbiner betonte: “CER-Veranstaltungen fördern den Dialog, stärken die interreligiöse Zusammenarbeit und fördern die öffentliche Auseinandersetzung. Das ist ein Verlust für Sarajevo.” Er kritisierte zudem, dass bisher kein anderer Offizieller der bosnischen Regierung die CER kontaktiert habe. “Die Entscheidung, eine europäisch-jüdische Konferenz auf europäischem Boden zu blockieren, ist nicht nur alarmierend, sondern auch aufschlussreich.”
Auslöser des Gaza-Kriegs war ein Angriff von Terroristen der islamistischen Hamas und anderen Organisationen auf israelische Orte, ein Musikfestival und Armeestützpunkte entlang der Grenze zum Gazastreifen am 7. Oktober 2023. Dabei wurden etwa 1.200 Menschen getötet und rund 250 Geiseln verschleppt. Etliche kamen inzwischen frei; viele wurden getötet. Weiterhin werden zahlreiche Geiseln festgehalten. Die palästinensische Seite beklagt indes Zehntausende Todesopfer durch Angriffe Israels.