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Saufen ist Heulen

Auf der gefaxten Anmeldung der Bestattung stand sein Alter: 63 Jahre. Sein Beruf: Betonbauer. Todesort: Städtisches Krankenhaus – Neukölln. Ansprechpartner: Niemand … Von Veit Hoffmann

Von Veit Hoffmann

Auf der gefaxten Anmeldung der Bestattung stand sein Alter: 63 Jahre. Sein Beruf: Betonbauer. Todesort: Städtisches Krankenhaus – Neukölln. Ansprechpartner: Niemand.

Ich rief beim Bestatter an und fragte, ob es nicht irgendeine Person gäbe mit der ich vor der Beerdigung sprechen könnte. “Na ja, da ist seine geschiedene Frau, aber sie möchte mit der Bestattung nichts zu tun haben.”Ich ließ mir ihren Namen und Telefonnummer geben und rief an.

Sie hob ab. “Ja, bitte!?” “Guten Tag, Hoffmann ich rufe an …. wegen Ihres geschiedenen Mannes.” Kurzes Schweigen am Apparat. “Ich weiß, er ist gestorben.” “Ja, es tut mir Leid.” Langes Schweigen, tiefes Atmen. “Er hat jetzt seinen Frieden”, sagte sie schließlich. “Darf ich zu einem Gespräch bei Ihnen vorbeikommen?”, fragte ich. Mit Pergamentstimme antwortete sie: “Ja klar, ich erzähle Ihnen natürlich über meinen Ex-Mann, aber zur Beerdigung komme ich nicht!”

Als ich wenige Tage später bei ihr läutete, da öffnete sie mir. Die kleine Frau zitterte und ihre Mundwinkel zuckten. In der Altbauwohnung roch es nach gedünsteten Zwiebeln, Bratensaft und Zigaretten. Wir gingen durch den dunklen Flur ins Wohnzimmer. Als wir uns auf das Sofa setzten massierte sie sich mit geschlossenen Augen die Schläfen, als hätte sie Kopfschmerzen. “Herr Pfarrer, mein Mann hat alles versoffen, um es mal ganz klar zu sagen. Seine Ehe hat er versoffen, seinen Beruf und seine Freunde auch. Aber eigentlich hatte er eine Bonsaiseele. Er war empfindlich. Nein, er wurde nie aggressiv oder verletzend. Aber er bekam nichts mehr auf die Reihe. Er nahm mich nicht mehr wahr. Als er die Arbeit wegen Suff verloren hatte, lag er jeden Tag betrunken auf dem Sofa als ich nachhause kam. Da dachte ich mir irgendwann, dann kannste ihn auch rausschmeißen. Ich habe dann das Schloss auswechseln lassen. Mehr nicht. Er hat nicht Sturm geklingelt, nicht gebrüllt oder gegen die Tür geschlagen. Er fügte sich. Und er tat mir verdammt Leid. Jeden Morgen stand er angetrunken vor der Haustür. In den Händen hielt er zwei Plastiktüten.”

Sie war bestürzt, als sie das sagte. “Mein Gott,…. sein ganzes Leben passte in zwei Plastiktüten!” Ein Weinkrampf schüttelte sie. “Er hat nie was Nützliches gemacht und trotzdem fehlt er mir! Er hatte ein beschissenes Leben. Sein Vater war ein regelrechtes Schwein. Er kam auch immer betrunken nach Hause. Bevor er die Tür aufschloss hatte seine Frau die Kinder im Kinderzimmer eingeschlossen und den Schlüssel versteckt, damit er nicht seine Wut an ihnen auslassen konnte. Dann mussten sie durch die Tür mit anhören, wie ihr Vater die Mutter anschrie. Als er 15 oder 16 war, da hat er sich nicht mehr einsperren lassen. Da hat er irgendwann seinen betrunkenen Vater erwartet und ihn die Treppe runtergetreten. Ehrlich, ich glaube, das war seine einzige wirklich gute Tat im Leben.”

Sie zündete sich eine Zigarette an. “Sein Vater kam nicht mehr. Er übernahm dann die Verantwortung für die Familie. Gelernt hat er vom Alten trotzdem das Saufen. Als wir uns kennenlernten war er trocken. Wenn wir im Urlaub waren, hat er als erstes immer einen Zettel im Hotel aufgehängt. Da stand drauf: WER KENNT BILL UND BOB? Das ist so eine Art Geheimcode der Anonymen Alkoholiker. Bill und Bob sind die Gründer. So hatte er immer seine Gruppe in der Nähe. Andere schleppen Ruhigmacher mit sich rum. Für ihn waren die AA´s Halt. Wann er dann wieder mit der Sauferei anfing, weiß ich nicht mehr genau. Jedenfalls heimlich. Zum Schluss zwei Flaschen Wodka am Tag. Und Bier. Er hatte nur noch Schleim im Kopf. Ein Arzt hat mir einmal erklärt, dass mein Mann eine schwere Depression wegtrinken wollte. Depression sei gefrorene Wut. Na ja, wenn das stimmt, dann hatte er nur noch Frostschutzmittel in den Adern. Aber er wollte ja partout nichts unternehmen.”

Auf dem kleinen städtischen Friedhof saß der Urnenträger in seinem Bürokabuff am Schreibtisch. Pomade verhinderte dass sein dunkles Haar wie Trockengesteck abstand. Er trug einen schwarzen Anzug, der an den Knien und Ellenbogen speckig glänzte. Hinter ihm auf einem Tisch standen blanke Urnen in einer Reihe. Jede halbe Stunde nahm er eine von ihnen und trat vor seine Bürotür. Wenn keine Angehörigen zur Bestattung kamen, ging er zu einer aufgegrabenen Urnenreihe und senkte sie ein. Dann setzte er neben sie ein Holzbrettchen und deckte sie mit Erde zu. Nach 30 Minuten die nächste und wieder ein Holzbrettchen … “Guten Tag Herr Pfarrer, welche haben wir denn? 10.30 Uhr oder 11.00 Uhr?””10.30 Uhr. Wir können aber schon los, es wird niemand kommen.”