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Sanfte Klänge stärken Frühgeborene im Brutkasten

Frühgeborenen fehlen vertraute Töne wie der Herzschlag der Mutter. Musiktherapie kann ihnen Ruhe schenken. Und laut der Forschung sogar verbessert sie sogar die Chancen für die Entwicklung des Gehirns.

“Na, schläfst du schon?” Arielle Drouard beugt sich über den neugeborenen Salman. Im Arm hält sie eine tragbare Harfe. Ihre Finger gleiten über die Saiten. Nach ein paar Tönen reißt der Junge den Mund auf und gähnt. Seine Pulsfrequenz geht nach unten.

Salman ist eine Frühchen. Er liegt im Brutkasten im Katholischen Marienkrankenhaus in Hamburg. Der Raum ist leicht abgedunkelt, Salman in Tücher eingewickelt. Neben ihm laufen Herz- und Atemfrequenzen über den Bildschirm.

Arielle Drouard arbeitet als Musiktherapeutin. Alle zwei Wochen kommt sie mit ihrer Harfe in das Krankenhaus in die Abteilung für Frühgeburten. In diesen Tagen liegen acht Kinder auf der Station. Das kleinste wiegt gerade einmal 450 Gramm. Andere sind schon weiter entwickelt – so wie Salman. “Meistens fange ich mit einem Wiegenlied an”, sagt Drouard. “Dann beobachte ich, wie die Kinder reagieren. Manche schlafen ein oder hören auf zu weinen.” Dann verlangsamt die Musiktherapeutin die Bewegung ihrer Finger auf der Harfe.

Schon in der 23. Schwangerschaftswoche können Ungeborene hören, nehmen im Mutterleib etwa Körpergeräusche und Stimmen wahr. Nach der Geburt fehlen ihnen diese vertrauten Klänge, wenn sie zu früh auf die Welt kommen. Stattdessen hören sie das Piepen von Maschinen, das Rascheln beim Besuch der Pflegenden.

Musik kann ihnen nach wissenschaftlichen Erkenntnissen dabei helfen, Stress abzubauen. Mehrere Studien, unter anderem an der Universität Illinois, ergaben, dass Musik sich positiv auf die Entwicklung von Gehirnstrukturen bei Frühgeborenen auswirken kann. Bei vielen von ihnen wirkt sie demnach stabilisierend für die Herzfrequenz und unterstützt gesunden Schlaf. Selbst während des Schlafs, so ergab eine Studie an der Universitätsklinik Essen, trägt Musik zur Entwicklung bei.

Zwei Zimmer weiter liegt Asena. Nach ein paar Harfentönen streckt das Mädchen die Hände in die Luft und bewegt sie. “Na, freust du dich?”, fragt Drouard und schmunzelt. “Manchmal scheinen die Kleinen im Rhythmus zu tanzen. Ich muss dann aufpassen, dass sie sich nicht überanstrengen.” Asenas Mutter legt ihre Tochter an ihre Brust und hält schützend ihren Kopf.

Oft kommen Eltern mit an den Brutkasten, wenn Drouard spielt. “Bei einer Frühgeburt sind sie gestresst und machen sich Sorgen”, sagt sie. “Wenn ich spiele, können Eltern entspannen. Das überträgt sich auf die Kinder.”

Asena bekam gerade Milch. Drouard sagt, sie spüre manchmal schon, wenn ein Frühgeborenes Hunger bekommt. “Manchmal glucksen sie zur Musik”, erklärt sie. “Das macht ihnen scheinbar Appetit.” Studien scheinen das zu bestätigen: Musik erleichtert demnach das Stillen, die Kinder gewinnen schneller an Gewicht.

An deutschen Krankenhäusern ist Musiktherapie für Frühgeborene inzwischen immer weiter verbreitet – so auch an der Charité in Berlin oder am Klinikum Dortmund. Das Summen eines Tons kann nach Angaben der Kliniken beruhigend wirken. Ein gleichmäßiger musikalischer Rhythmus kann den regelmäßigen Herzschlag der Mutter imitieren.

Drouard hat schon häufiger mit Frühgeborenen und kleinen Kindern gearbeitet, auch in anderen Krankenhäusern. Einmal, erzählt sie, spielte sie ihr Instrument für ein Kind, das schwach war und keine Milch wollte. “Es war nicht sicher, ob es am nächsten Tag noch lebt”, sagt Drouard. Noch während sie spielte, habe das Kleine angefangen zu trinken: “Das war eine schöne Erfahrung.”

Sarah, eine Mutter, die nicht bei ihrem echten Namen genannt werden möchte, hatte ihr Frühgeborenes an diesem Nachmittag zur Musik ein paar Minuten auf der Brust. “Schon als es noch in meinem Bauch war, habe ich ihm Musik vorgespielt”, sagt sie. “Vor allem Klassik. Vivaldi mochte es besonders gern.”

Jetzt sitzt sie auf dem Korridor. Von der Geburt ist sie erschöpft; das Stillen ist noch neu für sie. Doch sie strahlt. Es ist ihr erstes Kind. “Die Musik hat mich entspannt”, sagt sie. “Ein bisschen wie damals, als ich es noch im Bauch hatte.”