Vor 19 Jahren hat Oliver Rihs mit der Anarcho-Komödie “Schwarze Schafe” ein klein wenig Kinogeschichte geschrieben. Jetzt gibt es ein ebenso prominent besetztes Remake.
“Kultfilm” ist ein schwieriger Begriff. Während sich ein Kult jeder Kritik daran rituell entzieht, tut ein Film dasselbe emotional. Kultfilme sind daher nicht zu beanstanden. Punkt. Ende einer Diskussion, die jedoch andere führen als Kultfilmregisseure und – seltener, sehr viel seltener – Kultfilmregisseurinnen. Falls sich einer davon selbst dieses cineastische Etikett aufs eigene Werk klebt, ist demnach Vorsicht geboten. Und damit zu Oliver Rihs.
Vor 19 Jahren sorgte sein Episodenfilm “Schwarze Schafe” für Furore. Wenn auch gar nicht so sehr wegen der herausragenden Qualität. Nein, der Schweizer hatte diese filmische Berliner Milieustudie vollständig ohne Fördermittel realisiert und trotzdem Jungstars wie Robert Stadlober, Mina Tander oder Tom Schilling für sein vogelwildes Kaleidoskop gewonnen. Im artifiziellen Schwarzweiß gedreht, haben sie beim Versuch, ihr teures Großstadtleben mithilfe verschieden bescheuerter Ideen zu bestreiten, ein Feuer entfacht, das übers selbstausbeuterische Finanzierungsmodell hinaus tatsächlich ein bisschen – pardon – kultig war.
Findet auch Oliver Rihs. “Einem Kultfilm sollte man besser nichts hinterherschießen”, gab er daher kürzlich zu Protokoll. Stimmt! Marc Hosemann als Uhren-Model, das sich seine gut versicherte Hand aus purer Geldnot abzuhacken droht; Jule Böwe als verarmte Stadtführerin, die ihrer Jugendfreundin ein luxuriöses Grunewald-Dasein vorgaukelt; Oktay Özdemir als Partyhengst, dem eine Überdosis Ketamin die Libido versaut; Stadlober und Schilling als Studenten mit eskalierendem Job: Solche hyperrealen Kunstfiguren am Abhang des Existenzminimums hatten ihre Zeit, und es war nicht die schlechteste.
Was der Erfinder seiner eigenen Kultfilmthese zwei Jahrzehnte später hinzufügt, lässt daher Ungutes erahnen: “Aber dann reizte mich die Idee einfach zu sehr, wie diese Figuren von damals auf brisante Themen unserer Zeit treffen.” Das Ergebnis seiner kreativen Reizung kann man ab Freitag zwei Tage lang kostenlos unter schwarzeschafe.eu begutachten. Es ist die zehnteilige Ausarbeitung einer neunzigminütigen Kinofortsetzung, die im Sommer auf dem Filmfest München lief. Ein Teil der alten Besetzung torkelt darin beim Versuch über das kochende Hauptstadtpflaster, ungeschoren durch den Klimawandel zu kommen.
Wie 2006 plagt sich Überlebenskünstlerin Charlotte dabei mit dem Tagträumer Peter (Milan Peschel) rum, der invasive Spreekrabben zu Snacks verwursten will. Hosemanns Kafka verdingt sich als Drogenkurier vom Clan-Boss Omar (Yasin El Harrouk), dessen Stoff von Bienen auf Speed des verpeilten Balkon-Imkers Fritz (Frederik Lau) bewacht wird, während seine Frau Delphine genderneutrale Stoffpuppen mit Klettgenitalien bastelt. Und sobald man darin Jella Haase erkennt, wird man zustimmen: Auch ohne sie zu bezahlen, kriegt Oliver Rihs reichlich A-Promis vor die Kamera.
Mehr noch: Sie alle spielen sich mit glaubhafter Hingabe durch 180 Minuten Near-Future-Groteske. Wobei allein Yasin El Harrouks Ganove im Monstertruck, den sein umweltbewegtes Kind davon überzeugt, “Deutschlands Drogenhandel grün zu machen”, schon eine Leihgebühr wert wäre. Nur: Es nützt nichts! So hochkarätig “Schwarze Schafe” auch besetzt ist, läuft der Aberwitz beim hektischen Versuch, sich ständig selbst zu überholen, ebenso ins Leere wie Oliver Rihs’ wohlfeile Systemkritik.
Dass der abgebrannte Taxifahrer Kurt (Martin Brambach) dem eidgenössischen Kenianer Mamadou (Foscky Pueta) dabei hilft, einen Hakenkreuzteppich an die AfD zu verhökern, soll offenbar kaputtlachen, was uns kaputtmacht. Leider kurvt dieser Irrsinn ähnlich rückgratlos im Handlungsdurcheinander herum wie “Eron Munsks” E-Autos “Marke Texxla” auf dem Tempelhofer Feld. Das dortige Klimacamp soll wohl Fridays 4 Future ironisch brechen, zieht die Umweltbewegung aber dann doch lieber ins Lächerliche.
Das alles ist zwar nicht progressiv, aber absolut legitim. Kein noch so edler Zweck hat schließlich ein Recht auf humoristischen Artenschutz. Und wie erfolgreich Darsteller mitunter an modernisierte Sets zurückkehren, hat Tom Cruises “Top Gun: Maverick” 2022 ebenso bewiesen wie sieben Jahre zuvor Mark Hamills Luke Skywalker oder zwei Jahre später Harrison Fords “Blade Runner”. Den schwarzen Schafen hätte es dagegen gutgetan, wenn Oliver Rihs zumindest einen Teil ihrer analogen Anarchie in den digitalen Alltag einfließen ließe. Haben sie damals frischen Wind durch die raue Berliner Luft, Luft, Luft geblasen, ist das arme sexy Selbstbewusstsein der gentrifizierten Metropole ja heute längst zur Pose erstarrt.
Wenn aus “Hermes” auf Plakatkopien “Herpes” und “vertikales Gärtnern” als klimapolitisches Allheilmittel verulkt wird und Katharina Thalbach dümmliche Off-Kommentare dichtet, walzt die Serie das Narrativ der Hauptstadt als Hotspot des Unkonventionellen jedoch spürbar gelangweilt aus. Ob das witzig ist oder peinlich, Bauernschwank oder Realsatire, Kommentar oder Dekonstruktion, kultig oder katastrophal, bleibt aber natürlich Geschmackssache. Und die zu testen, kostet nichts. Zumindest für zwei Tage. Denn danach gibt es die schwarzen Schafe nur noch gegen Gebühr.