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Religionsfreiheit kann tödlich sein

Der weltweite Umgang mit Diskriminierung und Verfolgung von religiösen Minderheiten stellt die Kirchen vor ganz neue Herausforderungen

picture alliance / dpa

Die Verfolgung von religiösen Minderheiten nimmt weltweit zu. Besonders aufhorchen lässt im Westen die Bedrängnis von Christen, zumeist wenn sie in mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern geschieht.

Hatte man lange das Wort „Märtyrer“ (griechisch martyros, Zeuge) ganz auf die Gewaltopfer der ersten Jahrhunderte nach Christus bezogen, erfährt das Wort heute eine grausame Wiederbelebung. Es gibt sie wieder in hoher Zahl – Menschen, die wegen ihres Glaubens sterben müssen.

Todesurteil wegen Abfall vom Islam

Die meisten Opfer von Verfolgung werden namenlos bleiben. Von wenigen wird in den Medien berichtet. So etwa von Dr. Meriam Yehya Ibrahim Ishag, die am 15. Mai 2014 in Khartum hochschwanger zum Tode verurteilt wurde. Urteilsbegründung: Die 27-Jährige war nach Ansicht des Gerichts vom Islam abgefallen (Apostasie). Das Urteil steht und fällt mit der Frage, ob ein Mensch aufgrund seiner Geburt als Muslim/Muslima zu betrachten sei und dann für immer darauf festgelegt ist? Dies widerspricht eklatant dem Recht auf Religionsfreiheit als wesentlichem Bestandteil der Menschenrechtskonvention. Ein Phänomen, das in zahlreichen Ländern zu beobachten ist: „Es besteht offensichtlich eine Spannung zwischen der überwiegend von internationalen Konventionen geprägten Verfassung und dem Strafrecht bzw. seiner Anwendung“, beobachtet der Theologe und Religionswissenschaftler Christof Sauer in seinem lesenswerten Beitrag „Todesstrafe für Glaubenswechsel?“ im Deutschen Pfarrerblatt (1/2015, online lesbar). In muslimischen Ländern „stehen Verfassung und Rechtssprechung ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Scharia-Konformität“.
Die sudanesische Ärztin hatte Glück. Nach einem öffentlichen Verwirrspiel, Inhaftierung und Flucht in die US-Amerikanische Botschaft, durfte sie mit Kind und Mann am 24. Juli  2014 den Sudan verlassen.
Aber was ist mit all den namenlosen Eingeschüchterten und um ihr Leben Fürchtenden? Christen und Kirchen müssen neben allen politischen und gesellschaftlichen Bestrebungen ihren eigenen Weg finden, mit der Tatsache von Christenverfolgung umzugehen. Dies macht Christof Sauer zum Thema.
Begrifflichkeiten spielen hier eine große Rolle. Der Theologe differenziert zwischen „Bedrängnis“ (für den außerkirchlichen Raum wählt er das Wort „Diskriminierung“), „Verfolgung“ und „Martyrium“. Gerade der letzte Begriff muss gegenüber „übermächtigen konkurrierenden Deutungen“ seine eigene Deutung finden.
Wichtig ist Sauer – ganz im Sinne Jesu – im christlichen Engagement für Verfolgte, Feindbilder jeglicher Art auszuschließen. Es sei jedoch für Christen legitim, „den ,Glaubensgenossen‘ Priorität einzuräumen“. Dahinter stehe aber die Verpflichtung, sich ebenso für die Religionsfreiheit von Nichtchristen starkzumachen.
Die Solidarität mit den Bedrängten sollte einen Widerhall in der liturgischen Praxis der Kirche finden. Hier sind Gedenktage für Verfolgte, die Predigt im Gottesdienst sowie das Fürbittengebet wichtige Orte. Überhaupt sei das Gebet die „erste christliche Reaktion“ auf erneute Vorfälle. „Es kann durch nichts anderes ersetzt werden.“ Hier hat sich in den letzten Jahren etwas getan. Die Evangelische Kirche in Deutschland bietet Gemeinden jeweils zum Sonntag Reminiszere in der Passionszeit Material für einen Gottesdienst für bedrängte und verfolgte Christen an (UK berichtete).

Wie leidensfähig ist der eigene Glaube?

Sauer weist zudem auf die Religionsfreiheit in ihrer Breite hin. Was oft vergessen werde, sei das wesentliche Recht, „die eigenen Glaubensüberzeugungen zu verbreiten, sowie das Recht darauf, andere davon zu überzeugen“.
In seinem Beitrag stellt der Wissenschaftler einen „umfangreichen Bedarf für fächerübergreifende theologische Reflexion und Forschung zum Thema Verfolgung“ fest. Wichtige Fragen seien von der wissenschaftlichen Theologie zu klären. Ganz praktische Fragen, etwa: Wie soll heute über das Thema gepredigt werden? Wie gehen wir mit traumatisierten Menschen in der interkulturellen Seelsorge um? Wie kann in angemessener Weise der Märtyrer gedacht werden?
Und immer wieder die Frage: Was hat ein geistlich begründetes Anteilnehmen „an den Leiden des Leibes Christi in der Welt“ zu tun mit der eigenen Bereitschaft, um des Glaubens an Jesus Christus willen, Leiden auf sich zu nehmen? Wie leidensfähig ist mein Glaube?