Wie nähert man sich einem großen Künstler, dessen Persönlichkeit im Schatten seiner Werke steht? Knut Elstermann macht sich auf eine Reise zu Johann Sebastian Bach. Er hinterfragt die Bilder, die wir uns von ihm machen.
Wie sah der Musiker Johann Sebastian Bach (1685-1750) aus? Welches Bild von Bach haben Kino und Fernsehen vermittelt? Diesen Fragen geht Knut Elstermann in seiner spannenden Studie “Bach bewegt – Der Komponist im Film” nach. Es ist eine Reise durch die Filmgeschichte, aber auch in die Geschichte der Bach-Forschung.
Der Autor bekennt sich schon zu Beginn als glühender Bach-Verehrer: “Ich spiele kein Instrument, und kein Chor der Welt würde mich länger als fünf Minuten in seinen Reihen dulden, nicht einmal aus Mitleid. Doch Bachs Musik ist in mein Leben eingeschrieben.”
Kaum ein anderer Komponist ist so oft auf der Leinwand oder im Fernsehen zu sehen gewesen. Dennoch, so Elstermann, gibt es kein gültiges Bild von Bach: “Sein Werk ist so ungeheuer populär, während seine Persönlichkeit auf fast unheimliche Weise verschlossen bleibt.” Deshalb macht sich der Journalist auf eine spannende Suche nach dem Abbild des Meisters.
Die zahlreichen vermeintlichen Porträts des Komponisten, die im Bachhaus in Eisenach in einer Ausstellung hängen, hinterfragen die gängigen Vorstellungen vom Aussehen des Komponisten. Oft handelt es sich dabei um unbekannte Zeitgenossen, die irrtümlich für Bach gehalten wurden. Hier findet sich auch die Bronzekopie des vermutlichen Originalschädels. Das bekannteste Porträt des Meisters von Elias Gottlob Haußmann hängt im Leipziger Bachmuseum.
Ganz unterschiedliche Schauspieler haben Bach verkörpert: von Devid Striesow in “Bach – Ein Weihnachtswunder” (2024) über Vadim Glowna in “Mein Name ist Bach” (2002) bis hin zum populären Quizmaster Hans-Joachim Kulenkampff, der für seinen Sketch “Kulinade – Bach hat einen Einfall” (1985) selbst Perücke und Hausrock anlegte.
Das NS-Melodram “Friedemann Bach” (1941) mit Gustaf Gründgens in der Titelrolle markiert den ersten Kinoauftritt des Komponisten. Ausgerechnet der Nazi-Schauspieler Eugen Klöpfer verkörpert den ersten Johann Sebastian Bach im Film: “Das brave Spiel von Eugen Klöpfer”, resümiert Elstermann, “verkleinert das Genie zu einem biederen ‘Väterchen Bach’.”
Bach war aber auch für die filmische Avantgarde der 1960er Jahre ein Thema. Jean-Marie Straub und Danièle Huillet setzen in “Chronik der Anna Magdalena Bach” (1968) die zweite Ehefrau Bachs in den Fokus und vermeiden mit Verfremdung und Distanz jeden Starkult. Elstermann zitiert Jean-Marie Straub: “Jedes Kind weiß, dass Bach längst tot ist, und ich habe nicht die Absicht, zu versuchen, die Illusion zu erwecken, dass ich Bach vom Tode erweckt habe.” Eine ähnliche poetische Verfremdung charakterisiert Jahre später auch “Die Stille vor Bach” (2007) des spanischen Regisseurs Pere Portabella.
Einen breiten Raum widmet das Buch der Bach-Darstellung in DDR-Filmen und im DDR-Fernsehen: vom frühen Kurzfilm “Johann Sebastian Bach” über Spielfilme wie “Johann Sebastian Bachs vergebliche Reise in den Ruhm” (1980) bis zur vierteiligen DDR-Fernsehserie “Johann Sebastian Bach” mit Ulrich Thein in der Titelrolle. Elstermann besucht auch den Kostümfundus des DDR-Fernsehens in Adlershof, wo immer noch Bachs Hausrock und die dazugehörige Perücke aus der beliebten Serie hängen.
Kurz streift das Buch auch Filmemacher, die gerne mit Bachs Musik gearbeitet haben, von Pier Paolo Pasolini bis Christian Petzold. Es geht dabei auch um unvollendete Projekte, etwa den Spielfilm über Bachs letzte Lebensjahre, an dem der Schweizer Regisseur Stefan Haupt seit Jahren arbeitet. Aber auch der schlechteste Bach-Film wird benannt: “Johann Sebastian Bach” des französischen Regisseurs Jean-Luis Guillermou, der für Elstermann ein “unverbindlicher, barocker Kostümschinken” ist.
“Bach bewegt. Der Komponist im Film” ist eine faszinierende Recherche über “wunderbare Bach-Verrückte”, Menschen, die Bach lieben und ihre Lebensaufgabe um ihn herum gefunden haben. Es ist ein Buch über Menschen, die sich an Bach abarbeiten, wie etwa Britta Schütrumpf, die Restauratorin der Originalpartituren des Komponisten, oder die Bach-Forscher Michael Mau und Bernhard Schrammek. Es ist aber auch ein Buch über Menschen, die im Filmgeschäft arbeiten. Und es hinterfragt die Darstellung Bachs als nationales Denkmal oder gar als frühen deutschen Nationalisten.
“Bach bewegt. Der Komponist im Film” wechselt in seinem Blick auf Bach immer wieder die Perspektiven und wirft Klischees, Legenden und ideologische Vereinnahmungen über den Haufen – und liefert dabei nicht nur lehrreiche, sondern spannend-unterhaltsame Lektüre.