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Raus aus dem Grau

Andacht über den Predigttext zum 2. Sonntag im Advent: Jesaja 35, 3-10

Predigttext
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.“ 5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. 8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Puh, was liegt hier denn für ein Staub. Im Zwielicht der kleinen Fenster erscheint der Dachboden wie eine dunkle Höhle. Hatschi. In all dem Dunst kann ich zwischen den Kartons kaum etwas sehen. Unten in der Kiste leuchtet mir etwas entgegen, was liegt denn da…. Meine alten Buntstifte! In einem alten, bekritzelten Holzbecher. Wie lange habe ich die denn nicht mehr in der Hand gehabt!
Die Stifte haben viel erlebt, haben viel mit mir durchgemacht. Ein paar Farben fehlen. Sie bröckeln ein wenig, sind stumpf und angeknackst. Sind ein paarmal auf den Boden gefallen und wurden wieder aufgehoben. Sie sind klein geworden, abgenutzt.
Doch trotzdem habe ich damit die schönsten Bilder gemalt. Könnte – kann ich noch heute. Alles, was meine Vorstellungskraft hergibt. Ich kann mir die Welt ausmalen, wie sie sein könnte. Wie ich sie draußen nicht sehe. Ohne zerstörte Natur und Müll im Ozean. Mit Bächen, fließend und frisch, bis hinein ins blaue Meer. Drumherum keine zerbombte Wüste, sondern große, grüne Wälder und Haine. Blühende Blumen, die wachsen dürfen, wie sie wollen.
Ich kann Menschen malen, die diese Weite sehen und dabei eine gute Botschaft hören. Menschen, die ohne Schmerzen lachend herumspringen und sich dabei mit festem Schritt aus ihrer Komfortzone bewegen. Die sich gemeinsam in eine neue Heimat aufmachen. Die miteinander sprechen, weil das Seufzen nicht mehr nötig ist. Menschen, die keine Angst mehr haben, ihre Meinung zu äußern. Die wissen, dass sie im Recht sind und nicht allein da stehen. Die erhobenen Hauptes stehen.
Diese Bilder sind kraftvoll, wild und kunterbunt. Sie wärmen mein Herz und lachen voll Freude in mein Gesicht. Ich kann ihre Lebenslust kaum erwidern, ich bin blass. Doch ich kann malen und darin entsteht ein Gebet, eine Sehnsucht nach Gott.
Denn mein Bild zeigt nicht die Wirklichkeit, in der ich heute lebe. Sie zeigt eine andere, die mich in Sehnsucht ergreift. Die einen tiefen inneren Wunsch weckt. Ich will mich nicht mehr fürchten und streiche sie einfach durch. Ich male und rufe darin: Gott, Du wolltest doch kommen und uns helfen! Siehst Du, was sein könnte? Oh Heiland, jetzt reiß doch bitte endlich mal die Himmel auf!
Erlösung existiert nur auf dem Papier? Bleibt es bei meinem schönen Kunstwerk, das nicht gekünstelt ist? Bei einer schnell geschilderten Utopie, die ein alter Prophet mal schön vorgetragen hat? Ich hoffe nicht. Denn ich traue dem Grau der Welt, ihrer Farblosigkeit, mehr zu. Ich hoffe tatsächlich auf ermutigte Herzen und festen Stand, nicht nur auf Schwarz und Weiß. Ich träume von einer Wirklichkeit bei Gott, der sich an unsere Seite stellt. Der in unseren Herzen allen Schmerz endgültig ausradiert. Wenn das passiert, dann werden wir das schon merken. Gott hat uns das versprochen und ich nehme ihn beim Wort.
Deshalb kann ich durchhalten, erhobenen Hauptes. Auch wenn ich selbst angeknackst bin, stumpf und klein geworden bin. Wenn ich einsam auf meinem Dachboden sitze. Gerade deshalb nehme ich die Stifte wieder in die Hand. Das Papier ist geduldig. Ich überlege, was ich mir für mich und auch für diese Welt da draußen zu Weihnachten wünsche. Wasser und Land für alle Menschen. Jauchzen und Freude für die Erlösten des Herrn. Ein Hauch von Verheißung. Und dann, während ich auf die Heilige Nacht warte, male ich einen Wunschzettel für das Christkind, meinen Gott.