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Raum nur für sie

Jeden Dienstagnachmittag versammelt sich eine kleine Gruppe von Frauen vor der Tür der Ökumenischen Bahnhofsmission am ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. Es ist Zeit für das Frauencafé. Mit einem fröhlichen „Hallo“ treten sie ein und setzen sich an die runden Tische. Ihre Lebenswege sind verschieden, doch sie teilen ähnliche Erfahrungen: soziale Notlagen und Einsamkeit.

Regelmäßig kommen bis zu zwölf Frauen, manchmal auch mehr – die Jüngste ist etwas über 50, die Älteste über 90. Projektleiterin Ute Wienkamp berichtet, viele von ihnen hätten gesundheitliche, finanzielle oder familiäre Probleme, einige seien wohnungslos. Und oft hätten sie Erfahrungen mit Gewalt und Missbrauch gemacht.

Bei Kaffee und Kuchen sprechen die Frauen über ihren Alltag, ihre Sorgen und Ängste. Gisela, deren Mann verstorben ist, fühlt sich in der Runde gut aufgehoben. Die 74-Jährige sagt, sie habe nach Kontakten gesucht und genieße den Austausch. Hier könne jede ihre Geschichte erzählen. Für Gerda, deren Mann schwer krank ist, ist das Frauencafé eine Gelegenheit, auf andere Gedanken zu kommen: „Hier habe ich Zeit für mich“, sagt die 75-Jährige.

Die Frauen erleben im Frauencafé Miteinander, Unterstützung und Momente der Leichtigkeit. Es ist ein Ort, an dem sie sich angenommen und ernst genommen fühlen. „Wir sind eine kleine Solidargemeinschaft“, sagt Ute Wienkamp. Der Treffpunkt sei jedoch nicht nur ein Begegnungsort, sondern auch ein Türöffner zum Hilfesystem.

Jede Woche gibt es wechselnde Aktivitäten: Mal wird gespielt oder gemalt, mal stehen Kindheitserinnerungen, Gedichte oder ein Ausflug im Mittelpunkt. Die Freude über die Abwechslung im Alltag ist spürbar, etwa wenn gemeinsam kleine Steine bemalt werden. „Das würde ich allein nie machen“, sagt eine Besucherin.

Die Begegnung mit einer Frau, die gerade ihren Bruder verloren hatte, hat die Projektleiterin besonders berührt. „Wir haben über Tod und Trauer gesprochen, uns an die Hand genommen, geschwiegen und ihr so Kraft gespendet.“ Solche Erfahrungen ermutigen Ute Wienkamp: „Das trägt und motiviert mich, diese Arbeit zu machen.“

Für Projekte wie diese sind Ehrenamtliche wie Beate Jäger, die das vor zwei Jahren gegründete Frauencafé in Kassel regelmäßig begleitet, eine wichtige Stütze. Sie findet „es interessant, so viel aus dem Leben anderer Frauen zu erfahren“.

Josef Lüttig, der Vorsitzende von Bahnhofsmission Deutschland e.V. in Berlin, hält solche Schutzräume in Bahnhofsmissionen für wichtig. Denn: „Frauen meiden den Aufenthalt in unseren Räumen manchmal, weil von Männern dominierte Orte für Frauen mit Gewalterfahrungen besonders angstauslösend sein können.“

Gisela Sauter-Ackermann von der Bundesgeschäftsführung des Vereins Bahnhofsmission Deutschland ergänzt, dass nur etwa ein Viertel der Gäste in Bahnhofsmissionen Frauen seien. Aus ihrer Erfahrung mit wohnungslosen Frauen weiß sie, dass viele Frauen gemischtgeschlechtliche Notunterkünfte, die meist von Männern genutzt werden, bewusst umgehen – aus Angst vor Gewalt und Stigmatisierung. Frauentreffs seien deshalb ein wichtiger Hebel, um sie besser zu erreichen.

Ute Wienkamp hat in Kassel beobachtet, dass Frauen wenig Ansprache finden, wenn sich Männer im Raum befinden. Im geschützten Rahmen des Frauencafés hingegen könnten Vertrauen und Nähe entstehen. Sie erlebe häufig, dass Frauen aufblühen: „Sie machen sich zurecht, weil das Treffen für sie etwas Besonderes ist.“

Angebote in Bahnhofsmissionen, die sich gezielt an Frauen richten, nehmen in ganz Deutschland zu. Gisela Sauter-Ackermann zufolge gibt es diese inzwischen in vielen Städten, unter anderem in Köln, Aschaffenburg, Hannover, Leipzig und Mannheim. In Fulda sei ein solches Projekt in Planung.

An diesem Nachmittag in Kassel zeigt sich, wie konsequent und zugleich respektvoll der Schutzraum gewahrt wird. Als während des Treffens ein Mann hereinschaut und nach einem Kaffee fragt, wird er freundlich abgewiesen. „Heute geschlossene Gesellschaft“, sagt Ute Wienkamp lächelnd.