Entspannt telefonieren können oder mehr Erfolg beim Dating: Mit diesen Zielen suchen Menschen mitunter eine Psychotherapie auf. Zu Unrecht, mahnt eine Psychologin. Auch Therapeutinnen und Therapeuten müssten umdenken.
In manchen Kreisen gelten psychische Probleme geradezu als chic: Das beobachtet die Psychologin Gitta Jacob. “In großstädtischen, jüngeren, moderneren Bubbles gibt es kaum noch Stigmatisierung, im Gegenteil”, sagte Jacob der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Menschen mit alltäglichen Sorgen entwickelten die Vorstellung, diese in einer Therapie bewältigen zu müssen.
Als Beispiel für solche Probleme nennt die Expertin etwa Anrufe, um Arzttermine zu vereinbaren oder einen Tisch im Lokal zu reservieren. “Das hassen viele Menschen offenbar. Dann kann man entweder sagen: so what, ich mache es jetzt trotzdem. Oder man macht Theater daraus.” Hinter solchen Therapie-Anliegen stecke bisweilen die Erwartung, dass jede Lebenssituation völlig entspannt verlaufen und jede Aufgabe Spaß machen müsse.
Ebenso würden normale Reaktionen pathologisiert, kritisierte Jacob, deren Buch “Leben geht nur vorwärts” im Frühjahr erschienen ist. “Wenn jemand es etwa bedauert, dass das Gegenüber nach drei Nachrichten auf Tinder nicht mehr antwortet – dann raten manche sofort dazu, die eigenen Bindungsmuster zu prüfen.” Dabei seien Menschen soziale Wesen, und wenn ein Kontakt abbreche, den man selbst gern fortgesetzt hätte, sei Enttäuschung “stinknormal”. Statt dann über das Verhältnis zu den eigenen Eltern zu sinnieren, solle man akzeptieren, dass Dating-Plattformen nun einmal so funktionierten – und möglicherweise Dampf bei Freunden ablassen.
Berufliche Selbstoptimierung sei “eher nicht mehr angesagt”, fügte Jacob hinzu. “Aber sonst wollen sich die Menschen um so mehr optimieren: ihre Gesundheit, ihre Ernährung, ihre Schrittzahl.” Daraus könne die Erwartung folgen, auch die eigenen Gefühle und Beziehungen zu optimieren: “Man läuft mit einer Checkliste herum und möchte den Partner oder potenziellen Partner verbessern, bis alles genau richtig ist.” Vergleiche über Soziale Medien verstärkten diese Entwicklung.
Für eine Psychotherapie sei jedoch entscheidend, wie sehr eine betroffene Person leide und wie stark sie in ihren Tätigkeiten und Aufgaben eingeschränkt sei. Bei den sogenannten affektiven Störungen, also etwa Depressionen und Angsterkrankungen, sei “der Übergang fließend”, so die Psychologin. “In der Psychotherapie-Ausbildung müsste daher stärker besprochen werden, ab wann eine Therapie angezeigt und sinnvoll ist.”