Dankbarkeits-Apps, aufwändige Journals, Anleitungen für das “richtige” Ritual: All das findet sich in Hülle und Fülle. Ein Psychologe sieht das Geschäft mit der Dankbarkeit kritisch – und warnt vor falschem Druck.
Dankbarkeit macht glücklich – wird mitunter aber ausgebeutet: Das beobachtet der Psychologe und Psychotherapeut Lukas Maher. “Geht es darum, Dankbarkeit zu üben? Oder geht es darum, sich ein spezielles Buch zuzulegen und den Eindruck zu erwecken, dass man sich mit einem Trendthema auseinandersetzt?”, fragte Maher im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Im letzteren Fall handle es sich eher um ein “Angebot aus dem Selbstfürsorge-Supermarkt”.
Auch jenseits von reinem Konsum seien Dankbarkeitsübungen kein Allheilmittel. “Wenn Menschen psychisch stark belastet sind, können sie sich unter Umständen schlechter fühlen. Zum Beispiel inmitten einer Depression kann erzwungene Dankbarkeit dazu führen, dass Betroffene sich selbst abwerten.” Laut Maher haben depressiv Erkrankte bereits von Verschlechterungen ihres Zustands berichtet, etwa weil sie sich für ihre Listen schämten.
Viele Menschen hätten Schwierigkeiten mit ihrem Selbstwertgefühl, fügte der Experte hinzu. “Wer viel von sich selbst erwartet, presst vielleicht auch noch die Erwartung nach Dankbarkeit in diesen Leistungsrahmen hinein.”
Es müsse nicht schlimm sein, abends auch einmal festzustellen, dass man an diesem Tag für nichts besonders dankbar sei; es könne aber eine bereits vorhandene Tendenz zur Selbstkritik verschärfen. “Toxische Positivität ist, unabhängig von einer konkreten Diagnose, selten hilfreich für Menschen”, sagte Maher. Damit ist der Druck gemeint, auch in belastenden Situationen positiv zu denken und eher schwierige Emotionen wie Trauer oder Wut zu unterdrücken. Dabei soll sich niemand zwingen, Situationen zu ertragen, die schädlich seien.
Diese Kritik bedeute nicht, dass das Konzept eines Dankbarkeitstagebuchs schlecht sei, so der Autor des Buchs “Trigger, Trauma, toxisch. Die 45 größten Mental-Health-Irrtümer”, das soeben erschienen ist. Jede und jeder Einzelne könne aber durchaus hinterfragen, ob die Methode passend sei – je nach Lebenssituation und Tagesform. Wer die Übung etwa als Pflichtaufgabe empfinde, könne sie ruhig einmal aus- oder ganz weglassen.