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Psychologe: Cannabis-Debatte überlagert Umgang mit anderen Süchten

“Oh Gott, der kifft” – dieser ablehnende Reflex ist aus Sicht eines Experten noch allzu verbreitet. Zugleich würden echte Konsumstörungen oft übersehen: Daher müsse differenzierter über Sucht gesprochen werden.

“Das ist ein Süchtiger, das nicht” – solche Unterscheidungen sind nach Worten eines Psychotherapeuten zu vereinfacht. So sei allein der Konsum bestimmter Substanzen nicht mit einer Störung gleichzusetzen – zugleich fielen Menschen mit echten Substanzstörungen mitunter durchs Raster, kritisierte Tim Pfeiffer am Mittwoch in Berlin. Er äußerte sich bei einem Symposium der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung.

Pfeiffer bezeichnete die Gesellschaft als “zutiefst bekloppt” insofern, als Alkohol und Tabak geduldet würden, obwohl sie für Tote, Arbeitsfähigkeit und soziale Zerrüttung verantwortlich seien – während die Teillegalisierung von Cannabis “eine riesige Wolke” erzeugt habe. Er wolle diese Droge nicht verharmlosen, betonte der Experte – doch wenn ein Erwachsener zwei Mal wöchentlich einen Joint rauche, sei dies weder abweichendes noch problematisches Verhalten. Als problematisch galt der Cannabis-Konsum laut Report Psychotherapie von 2021 bei 1,3 Millionen Menschen – beim Alkohol waren es 9 Millionen, bei Nikotin 4 Millionen und bei Medikamenten 2,9 Millionen Menschen.

Seit dem 1. April vergangenen Jahres ist der Besitz von bis zu 25 Gramm getrocknetem Cannabis im öffentlichen, von 50 Gramm im privaten Raum straffrei. Der öffentliche Konsum von Cannabis ist beschränkt: So gilt zum Beispiel ein Konsumverbot in Fußgängerzonen von 7 bis 20 Uhr. Für Minderjährige bleibt der Besitz von Cannabis nach wie vor verboten.

Problematischer Konsum werde bei Diagnostik und Therapien mitunter nicht genug beachtet, sagte der Psychologe weiter. Dabei hätten Betroffene etwa ein zwölffach höheres Risiko für eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Menschen mit problematischem Konsumverhalten begäben sich indes meist eher wegen affektiver Störungen oder wegen Ängsten in Behandlung – es gelte also, genau hinzusehen.

Psychische oder Verhaltensstörungen wegen Alkohol machten nur 1,3 Prozent aller Behandlungsanlässe aus, erklärte Pfeiffer. Schwierig sei auch, dass viele Betroffene eine Reduktion ihres Konsums als unattraktives Behandlungsziel ansähen. Es brauche daher gezielte Zusammenarbeit mit Suchtberatungsstellen, Entwöhnungsstätten sowie medizinischen Partnern.