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Privatradio-Chef: SWR greift in die Trickkiste

Die Privatradios in Deutschland stehen wirtschaftlich unter Druck. Schuld daran ist nach Ansicht von Kai Fischer, Geschäftsführer der Audiotainment Südwest (BigFM, Radio Regenbogen, RPR 1, Rock FM) auch das Gebaren der öffentlich-rechtlichen Sender. Dem SWR wirft Fischer im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) beim Thema Senderreduzierung einen „Griff in die Trickkiste“ vor.

epd: Herr Fischer, Sie schwören derzeit die Privatradios auf Konsolidierung ein. Warum?

Fischer: Wir haben keine Wahl. Es ist mit Blick auf die Herausforderungen ein Appell an den Realitätssinn aller. Es ist zu hoffen, dass sich Sender, Gesellschafter, Medienanstalten und Länder zeitnah mit der Situation und der Zukunft des Privatfunks auseinandersetzen. Es geht nicht um eine Reduzierung der Angebotsvielfalt, es geht um eine Konsolidierung auf Anbieterseite bei Beibehaltung der Angebotsvielfalt. Die Möglichkeiten sind vielfältig, sie reichen von Dienstleistungen über Kooperationen bis zu Kauf oder Beteiligung. Kooperationen können Kosten sparen und durch Synergien neue Möglichkeiten erschaffen, Risiken werden geteilt.

epd: Fordern Sie deshalb mehr Freiheiten für Privatsender?

Fischer: Ja, es gibt nicht nur die ARD-Anstalten, die vor wirtschaftlichen Herausforderungen stehen. Es muss uns werbefinanzierten Privaten doch die Frage erlaubt sein, warum die Länder den gebühren- und werbefinanzierten ARD-Anstalten deutlich mehr Freiheiten – zum Beispiel mit Blick auf unbestimmte Beauftragungen und Kooperationen untereinander – zugestehen als den Privaten. Wir Private haben in einer zunehmenden Anzahl von Ländern mittlerweile einen engeren regulatorischen Rahmen als die ARD-Anstalten. Es kommt hinzu, dass die Regulierung des privaten Hörfunks aus dem vorherigen Jahrtausend stammt, während wir heute gegen globale Online-Plattformen kämpfen müssen. Auch der kartellrechtliche Rahmen für Medien muss angesichts der marktbeherrschenden Online-Plattformen diskutiert und angepasst werden.

epd: Was bedeutet all das für Hörerinnen und Hörer?

Fischer: Die Hörerinnen und Hörer werden von einer Konsolidierung oder engen Zusammenarbeit nichts mitbekommen. Ihr Lieblingsprogramm bleibt on air. Es geht darum, Doppelstrukturen in Technik, Verwaltung und Vertrieb abzubauen, um die frei werdenden Mittel in Programme, digitale Produkte, digitale Verbreitung und digitale Vermarktung zu investieren.

epd: Planen Sie selbst Zukäufe?

Fischer: Wir sind offen. Die Audiotainment Südwest agiert bereits als technischer und kaufmännischer Dienstleister, produziert Streams für andere Veranstalter und seit August das Programm bigFM NRW für NRW Audio. Unser Ziel ist es, ein attraktiver Partner für andere Privatsender zu sein und auch in fünf Jahren noch zu den relevanten Anbietern zu gehören.

epd: Die Ankündigung der Öffentlich-Rechtlichen, Programme zu reduzieren – wird die wirklich umgesetzt?

Fischer: Nein, da ist viel Augenwischerei mit dabei. Und in einigen Staatskanzleien werden mittlerweile mit den ARD-Anstalten die klaren Vorgaben aus dem Reformstaatsvertrag umgedeutet: Es ging, so das Narrativ, nicht in erster Linie um eine Angebotsreduzierung, sondern um eine Kostenreduzierung. Das ist Medienpolitik nach Pippi-Langstrumpf-Art: „Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt“. Der Reformstaatsvertrag sieht eine Reduzierung der öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramme und der Kosten vor. Es werden wenige reichweitenschwache, werbefreie Programme eingestellt – oder ins Netz verschoben. Das löst weder das Ungleichgewicht im dualen Hörfunksystem noch schafft es Entlastung im Wettbewerb um Hörer und Kunden. Es droht, dass die politisch gewollte Programmreduzierung sehr deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben wird.

epd: Haben Sie ein Beispiel?

Fischer: Zum Beispiel wird beim SWR in die Trickkiste gegriffen: Der SWR hatte verkündet, dass er entsprechend den Vorgaben des SWR-Staatsvertrages seine terrestrischen Hörfunkprogramme von acht auf sechs reduzieren wird. Was nicht stimmt: Die drei Jugendprogramme des SWR (Das Ding), des SR (Unser Ding) und des HR (YouFM) sollen zusammengelegt werden, aber das künftige gemeinsame Jugendprogramm wird natürlich in den bisherigen Sendegebieten weiterhin ausgestrahlt werden. Damit werden in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz, in Hessen und im Saarland die jetzigen drei Jugendprogramme lediglich durch ein neues Jugendprogramm ersetzt – reduziert wird nichts.

epd: Zum Verhältnis mit den Öffentlich-Rechtlichen: Wo hakt es?

Fischer: Private und öffentlich-rechtliche Sender sind beide Säulen des dualen Systems, aber auch Wettbewerber. Trotz gemeinsamer Themen wie dem Kampf gegen Online-Plattformen gibt es erhebliche Differenzen. Ein Beispiel ist die ungleiche Ausstattung bei Übertragungskapazitäten: So belegt der SWR durch mehrfache landesweite Ausstrahlung regionalisierter Programme auf DAB+-Multiplexen unnötig viele Sendeplätze. Eine konsequente Regionalisierung würde hier Sendeplätze für Privatsender schaffen und Kosten sparen. Ein weiteres Problem ist die ARD Audiothek, die mit über 2.000 Podcast-Angeboten zu einem bundesweiten Anbieter wächst. Würde die ARD diese riesigen, beitragsfinanzierten digitalen Inhalte vermarkten dürfen, würde dies die Werbepreise für Privatradios massiv unter Druck setzen und könnte deren Existenz gefährden.

epd: Wie hat sich die Wirtschaftslage in Deutschland auf Ihr Geschäft ausgewirkt?

Fischer: Die aktuelle konjunkturelle Schwäche und die Unsicherheit bremsen den deutschen Werbemarkt, wovon auch der Hörfunk betroffen ist. Werbetreibende agieren vorsichtig. Diese Lage verstärkt den ohnehin ungleichen Wettbewerb mit globalen Online-Plattformen aus den USA. Während wir strengen regulatorischen Vorgaben unterliegen, können diese Plattformen ihre Werbeinventare flexibler, datengetriebener und preisaggressiver vermarkten, was zu einer strukturellen Benachteiligung klassischer Medien führt.

epd: Kommen wir zu Künstlicher Intelligenz (KI). Was setzen Sie heute schon ein?

Fischer: In der Audiotainment Südwest setzen wir über 20 KI-Systeme: ein: für die Verbesserung von O-Tönen, für die automatisierte Produktion von Videoformaten und für die Erstellung KI-basierter Chatbots. Bei bigFM erzeugen KI-Tools auf der Basis von definierten verlässlichen Quellen den regionalisierten Wetter- und Verkehrsservice. Die Redaktion prüft jeden Text. Mit allen diesen Quellen haben wir Verträge. Veranstaltungstipps werden als Texte von KI erstellt, aber von Moderatoren eingesprochen, da KI noch keine Emotionen vermitteln kann.

epd: Seit zwei Jahren betreiben Sie den ersten reinen KI-Sender, bigGPT. Was haben Sie bereits daraus gelernt?

Fischer: bigGPT ist für die Audiotainment Südwest ein Experimentierfeld. Wir nutzen auch hier definierte Quellen. Ziel ist nicht, KI-produzierte Programme zu etablieren, sondern Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie KI uns besser machen kann. KI beschleunigt Recherche und Routineinhalte hervorragend, etwa für Service. Für Moderation ist sie jedoch ungeeignet. Bei der Radioproduktion ist der Mensch unersetzlich, wo es um Nähe, 1:1-Dialoge, Zwischentöne, Ironie, Empathie und bewusste Stille geht. Radio lebt von Emotionen, Haltung und Authentizität.

epd: Welche KI-Einsätze kommen als Nächstes?

Fischer: Wir planen, Teile des Hörerservice zu automatisieren. Viele Hörerfragen zu Songs oder Veranstaltungsterminen sollen personalisiert und ohne Wartezeiten von KI-Voicebots beantwortet werden. Bei komplexeren Anfragen wird das Gespräch an menschliche Mitarbeiter übergeben.

epd: Sie fordern „mehr Mut in der Branche“. Wozu konkret?

Fischer: Erstens: Mut zu Konsolidierung und Zusammenarbeit, ehrlich auf den Status quo und die Herausforderungen schauen, Doppelstrukturen abbauen, um Inhalte zu stärken. Zweitens: Mut zu Innovation und Investition – Cost Cutting ist keine Strategie. Ohne Investitionen in Programm, Digital und Vermarktung verlieren wir. Drittens: KI als Chance nutzen. Nicht um primär Personal zu sparen, sondern um redaktionellen Mehrwert effizienter zu liefern.

epd: Ihr Fazit?

Fischer: Wir private Hörfunkveranstalter wollen Angebotsvielfalt sichern – mit flexibleren Regeln, mehr Kooperation und fairen Wettbewerbsbedingungen. Dann bleibt Radio das, was es ist: das letzte echte Massenmedium – unverzichtbar für regionale Vielfalt, für unsere Gesellschaft – und eine zentrale Säule unserer Demokratie. (2337/18.09.2025)