Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sieht angesichts von Bauernprotesten und Lokführer-Streik die alte deutsche Konsensgesellschaft erheblich unter Druck. Es sei eine Konfliktdynamik in Gang gesetzt worden, die über den Verteilungskonflikt hinausreiche und von einer populistischen Anti-Establishment-Haltung geprägt sei, sagte der Professor vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung der „Berliner Zeitung“ (Freitag): „Ohne sichtbaren Dialog und andere Formen der Einbindung wird es deshalb schwer, die verhärteten Fronten wieder aufzulockern.“
Für Deutschland sei das, was gerade geschehe, historisch gesehen untypisch, sagte Schroeder. Die Bundesrepublik gelte als Verbände-Staat. In der alten Bonner Republik hätten die großen vier, Gewerkschaftsbund, der Bundesverband der deutschen Industrie, der Bauernverband und die Katholische Kirche, das Rückgrat für Politik und Wirtschaft gebildet.
In der Berliner Republik „gebe es mehr Akteure, mehr Konkurrenz zwischen den Interessengruppen und weniger Verlässlichkeit“. So habe der Bauernverband nur eingeschränkt die Entwicklung unter Kontrolle. Die Konfliktdynamik gehe über die reine Interessenvertretung hinaus. An den Rändern deuteten sich Protestformen wie die Gelbwestenbewegung in Frankreich an: „Wir dürfen diese Zeichen nicht ignorieren.“
Schroeder betonte aber auch, es gebe in der Bevölkerung eine deutliche Mehrheit von rund 70 Prozent, die Vertrauen in den Staat habe und auch offen für Reformen sei. Sie sei aber auffallend still, während 30 Prozent mit ihrer Protesthaltung auffallen.