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Philosophin Pelluchon warnt vor neofaschistischen “Lügenpropheten”

Warum geht von einigen nationalistischen Politikern eine “fast hypnotische Faszination” aus, obwohl ihr Programm sozial und wirtschaftlich armselig ist? Die Philosophin Pelluchon gab bei einer Preisverleihung eine Erklärung.

Nach Einschätzung der französischen Philosophin Corine Pelluchon treibt “soziales Unbehagen” Menschen in die Arme von nationalistischen und neofaschistischen Politikern. Viele Menschen folgten gegenwärtig “einem nationalistischen Führer, der die Menschen glauben macht, dass sie anderen überlegen sind und an der Wiederherstellung der nationalen Größe teilnehmen”, sagte Pelluchon am Dienstagabend in Tübingen. “Indem sie einem Anführer folgen, der einen gewalttätigen Ton anschlägt und keine Hemmungen hat, fühlen sie sich stärker.”

Diese “Lügenpropheten” verstünden es, das Unbehagen der Menschen noch zu intensivieren. “Sie verfestigen es und ermutigen die Bürger, ihre Frustrationen in Groll und ihre Ohnmacht in Allmacht und Enthemmung umzuwandeln”, sagte Pelluchon laut Redemanuskript in ihrer Dankesrede bei der Verleihung des mit 50.000 Euro dotierten Leopold-Lucas-Preis 2025.

Pelluchon sagte weiter: “Die Anfälligkeit von Menschen für den Neofaschismus lässt sich nicht hauptsächlich durch Armut oder ein niedriges Bildungsniveau erklären. Sondern das Gefühl, verloren zu sein, und die Schwierigkeit, den Verlust der traditionellen Bezugspunkte zu akzeptieren, spielen eine grundlegende Rolle.” Nationalistische Agitatoren lenkten die Aufmerksamkeit der Bürger von der Suche nach den Ursachen ihrer Probleme hin auf die Benennung von Schuldigen, denen alle Schwierigkeiten zugeschrieben würden.

Diese Mechanismen erklärten “die fast hypnotische Faszination, die von einigen nationalistischen Führern ausgeht, deren Programm sozial und wirtschaftlich oft armselig ist”, sagte die Philosophin. “Durch abwechselndes Schmeicheln und Drohen treiben die Agitatoren die Menschen in ein paranoides Verhältnis zur Welt.” Diese “psychische Vergiftung” könnten solche Politiker letztlich “nur durch immer größere Gewalt aufrechterhalten” – “sei es gegen die Sündenböcke, gegen andere Nationen oder gegen die Bevölkerung selbst”.

Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Tübingen würdigte mit dem Preis Pelluchons Debattenbeiträge “zu den aktuell drängenden Fragen des Tierwohls, der Klimakrise und der Stärkung der pluralistischen Demokratie”. Pelluchon ist Professorin für politische Philosophie und angewandte Ethik an der Université Gustave Eiffel in Paris.

Gestiftet wurde der Preis von Franz Lucas zur Erinnerung an seinen von den Nationalsozialisten ermordeten Vater und Rabbiner Leopold Lucas (1872-1943). Zu den Preisträgern gehören die früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck und Richard von Weizsäcker.