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“Pfingstraum” in Jerusalem verspricht spirituelle Erfahrung

Warum braucht es wenige hundert Meter vom heiligen Ort des Pfingstgeschehens einen zweiten Pfingstraum? Um den Menschen ein Eintauchen in das Geheimnis des Festes zu ermöglichen, sagen die Macher des neuen Angebots.

Das katholische Jerusalem ist um eine Attraktion reicher. Am Samstag wird im Pilgerzentrum “Notre Dame” der “Pfingstraum” eingeweiht. Eine Pfingstszene in Form von Wand- und Deckengemälden des chilenischen Künstlers Daniel Cariola lädt den Besucher ein, in das Geheimnis des Pfingstgeschehens einzutauchen, sagte Pater Eamon Kelly von der Kongregation der Legionäre Christi, dem Träger des Zentrums, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Pfingsten ist der Höhepunkt des Erlösungsprozesses. Es visuell zu machen und so unter die Haut gehen zu lassen, vermittelt eine spirituell-pädagogische Erfahrung.”

Knapp einen Kilometer Luftlinie südwestlich von Notre Dame liegt der Zionsberg. Auf ihm liegt der Abendmahlssaal, dessen früheste bauliche Reste aus dem 5. Jahrhundert stammen. Er gilt als der Ort, an dem nach biblischer Überlieferung an Pfingsten der Heilige Geist auf die Apostel herabkam. Dessen Besuch kann und soll das moderne Kunstwerk im Notre-Dame-Zentrum nicht ersetzen, betont Eamon Kelly.

Vielmehr soll das raumumfassende Gemälde eine Einladung zu einem Spaziergang durch das Pfingstereignis sein, so der Vizedirektor des zweiten Pilgerzentrums der Legionäre Christi. Dort, in Magdala am See Genezareth, ist das erste Werk Cariolas im Heiligen Land zu sehen: eine überdimensionale Darstellung der in der Bibel überlieferten Heilung einer blutflüssigen Frau durch Jesus.

In Jerusalem erwarten den Besucher hyperrealistische Figuren in Lebensgröße von vier Seiten des Raumes und der Decke. Cariolas Werk zeigt historische Gemäuer mit Kuppelgewölben. Durch steinerne Bögen sieht man den nächtlichen Sternenhimmel und die Umrisse Jerusalems. Menschen in antiken Gewändern stehen, knien oder liegen, im Gesicht den Ausdruck von Freude, Erstaunen oder Furcht, über ihren Köpfen kleine Flammen. “Jede Flamme ist anders, wie der eine Geist, den jeder Mensch entsprechend seiner gottgegebenen Gabe und der Empfänglichkeit jedes Einzelnen erhält”, so Kelly.

Die “immersive Erfahrung ermutigt zur persönlichen Reflexion und zum Gebet”, ist auf den Begleittafeln zum Pfingstraum zu lesen. “Die Menschen sollen den Raum anders verlassen, als sie hereingekommen sind”, wünscht sich Künstler Daniel Cariola. So wie Petrus, der nach biblischer Überlieferung eine Offenbarung erhalten, diese durch die Verleugnung Christi verloren und schließlich wiedergefunden habe, als er erkannte, dass er sein Leben ändern muss.

Das Kunstwerk und die Auslegung durch den Künstler bewegen sich zwischen biblischen Allegorien und historischen Details. Die Gesichter sind die Gesichter echter Personen, erklärt Cariola, der als Autodidakt zur Malerei gefunden hat. Auch sich selbst hat der Künstler verewigt, rechts neben Maria, mit ehrfürchtig gesenktem Kopf. Sieben Jahre hat er an dem Raum gearbeitet. Wenn er das Ergebnis heute betrachte, könne er nicht nachvollziehen, wie ihm das Werk gelungen sei. Sicher sei: Nie zuvor sei er “so leidenschaftlich bei der Arbeit” gewesen wie hier in Jerusalem.

Jeder Stein auf dem Gemälde passt laut Cariola zu einem historischen Stein Jerusalems. Die Konstellation der Sterne, die am bildlichen Himmel leuchten, entspricht dem Himmel über Jerusalem in der Nacht von Schawuot, dem jüdischen Wochenfest, an dem in christlicher Tradition der Heilige Geist auf die Anhänger Jesu herabkam. Der Drache steht im Norden über Maria. Für Cariola ist er eine Anspielung auf den Drachen in der Offenbarung des Johannes, der das Kind einer Frau zu verschlingen versucht – Sinnbild des Guten und des Bösen, der Kirche und des Teufels. Im Osten, über dem imaginären Ölberg: die Plejaden im Sternbild des Stiers, auch sie eine Anspielung auf die Offenbarung.

Die Liebe zur und Kenntnis der Bibel verdanke er seiner Mutter, erzählt der Künstler. Die Lilien an den Kapitellen im Bild sind seine Referenz an die Frau, die Cariola als seine “erste Inspiration und einflussreichste Person im Leben” bezeichnet. Die unzähligen Einzelheiten seines Werks und der Drang zur Genauigkeit kommen vom Vater, dem Tischler. Er habe “alle Dinge mit viel Liebe zum Detail und Perfektion” gemacht habe. Ein bisschen sei der Pfingstraum seine eigene persönliche Geschichte, fast wie ein Film über sein Leben. “Es ist, als ob man sieht, wie der ganze Weg nach und nach ans Licht kommt”, so der Chilene.

Für Eamon Kelly bietet Cariolas Pfingsten “eine Menge Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden”.