Peter Luisi gelingt in “Prinzessin” das emotionale Porträt einer liebevollen Beziehung zwischen einem Mann und seiner Nichte, die über mehrere Jahrzehnte hinweg einander in Phasen der Sucht beistehen.
Josef Keller ist verlottert. Er ist 47, schwer alkoholsüchtig und lebt alleine im Zweifamilienhaus, das seiner Mutter gehörte. Über sein Vorleben wird wenig bekannt in diesem Film von Peter Luisi, der anders sonst keine Komödie, sondern ein Drama ist. Er erzählt die Geschichte von Josef und Nina. Nina ist Josefs Nichte und bereits vier Jahre alt, als ihre Mutter Karin eines Tages unverhofft an Josefs Tür klingelt.
Josef und Karin haben sich davor jahrelang nicht gesehen. Dass ihrer beider Mutter verstorben ist und Karin ihm eine Todesanzeige geschickt hat, hat Josef in seiner Sucht nicht mitbekommen. Dass Karin nun vor ihm steht und verkündet, dass er ausziehen muss, damit sie das gemeinsam geerbte Haus verkaufen kann, versteht er sehr wohl – und weigert sich. Als Karin mit Nina einige Tage später in die Parterrewohnung einzieht, ist Josef verdutzt, bringt aber immerhin ein “Willkommen” über die Lippen.
Die ersten Annäherungen zwischen Nina und Josef sind zögerlich und verspielt. Die Kleine ist aufgeweckt, neugierig und geht sehr offen auf Josef zu. Der hat viel Zeit für sie, spielt mit ihr im verwilderten Garten Ritter und Prinzessin, geht mit ihr in den Zoo, baut für sie ein Gartenhaus und hilft ihr durchs Fenster in die Wohnung, als Karin es einmal nicht rechtzeitig nach Hause schafft.
Es sind schöne und starke Szenen, die Luisi im ersten Teil dieses Films, den er selber als “Märchen” bezeichnet, zaubert. Fabian Krüger spielt den bald mehr, bald weniger betrunkenen Josef in berührender Weise überzeugend. Die gemeinsamen Szenen mit der bei den Dreharbeiten tatsächlich erst vierjährigen Lia Hahne gehören zu den schönsten und stärksten Interaktionen von Kindern und Erwachsenen, die in den letzten Jahren zu sehen waren.
Doch so liebevoll Josef sich auf seine Nichte einlässt – seiner Sucht entkommt er dadurch nicht. Und so vergisst er manchmal, dass er auf Nina aufpassen soll. Eines Tages aber geschieht ein von Josef verschuldeter Unfall, nach dem nichts mehr ist wie davor. Noch einmal darf er Nina sehen, aber nur, weil er Karin verspricht, danach wirklich auszuziehen.
Josef kramt seine wenigen Habseligkeiten zusammen, setzt sich noch einmal in den Gartenstuhl vor dem Haus und döst ein. Die Kamerablick senkt sich daraufhin auf die blühende Wiese, und in der darauffolgenden Überblendung taucht im Speisesaal einer Altersresidenz das Konterfei von Matthias Habich auf.
35 Jahre liegen dazwischen, die der Film nicht erzählt, weil die Geschichte von Nina und Josef nicht weitergesponnen wird. Josef, im zweiten Teil 82 Jahre alt, wird nun von Matthias Habich gespielt, die Rolle der nun 39-jährigen Nina hat Johanna Bantzer übernommen. Die Rollen haben sich inzwischen sozusagen vertauscht. Josef hat nach dem traumatischen Abschied von Nina den Weg aus der Sucht gefunden. Nina dagegen hat sich auf falsche Freunde eingelassen. Sie ist in die Drogen und die Kriminalität gerutscht, aktuell sitzt sie, wie Josef bei der Beerdigung von Karin erfährt, in einem Gefängnis in der Ukraine, aus dem sie gegen eine Kaution von 70.000 Euro wieder freikäme.
Ninas Stiefvater, ihr Bruder und ihre Schwägerin aber weigern sich, diesen Betrag aufzuwenden, und Josef besitzt gar nicht so viel Geld. Doch er hat Nina versprochen, sein ganzes Leben für sie da zu sein. Davon erzählt der zweite Teil von “Prinzessin”, in den einzufühlen nach dem ans Herz gehenden ersten Teil nicht einfach ist. Was nicht an den schauspielerischen Leistungen von Habich und Bantzer liegt, sondern an der abrupt wechselnden Tonalität der Erzählung und den großen Veränderungen, an die zu gewöhnen der Film dem Zuschauer keine Zeit lässt.
Tatsächlich vermögen Bantzer und Habich genauso zu überzeugen wie Krüger und Hahne. Bantzer spielt die von schwerer Drogensucht Verzehrte überaus intensiv. Und Habich überzeugt als in die Jahre geratener Mann, der alles tut, um seine Nichte nach Hause zu holen: mit einem korrupten Gefängnisdirektor verhandelt, mit Verbrechern säuft, am Steuer eines klapprigen Autos aus der Ukraine bis in die Schweizer Alpen fährt. “Prinzessin” ist zweifelsohne Peter Luisis bisher sperrigster Film, es ist zugleich aber auch sein zärtlichster und intimster.