“The Narrow Road to the Deep North” erzählt von Alliierten, die in japanischer Kriegsgefangenschaft versklavt und erniedrigt werden. Ein furioses Seriendrama – trotz und wegen der drastischen Gewalt.
Wie unverblümt der Krieg künstlerisch dargestellt werden sollte, um weder in Voyeurismus noch Eskapismus zu verfallen, hat die Malerei von Otto Dix über de Goya bis Käthe Kollwitz mitunter eindeutig beantwortet. Das Fernsehen ist dagegen trotz aller Gewaltaffinität noch unschlüssig. Selbst Steven Spielbergs Invasionsgemetzel “Saving Private Ryan” hat die blutige Landung in der Normandie vor 27 Jahren nach einer knappen Stunde ja angewidert abgebrochen und als Melodram fortgesetzt.
Der australische Regisseur Justin Kurzel macht es jetzt gewissermaßen umgekehrt. Nach Drehbüchern seines Landsmanns Shaun Grant startet er die Adaption von Richard Flanagans Tatsachenroman “The Narrow Road to the Deep North” in Friedenszeiten. Nach einer knappen Stunde allerdings geht sie derart nahtlos zum Wesenskern menschlicher Barbarei über, dass es beim Zuschauen wehtut. Und das nahezu pausenlos, fünf Dreiviertelstunden lang – obwohl von der ersten bis zur 225sten Minute kaum ein hörbarer Schuss fällt.
Hauptperson ist der australische Sanitätsoffizier Dorrigo Evans (Jacob Elordi), der sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgerechnet in die junge Frau seines Onkels (Simon Baker) verliebt und kurz darauf an die südostasiatische Front abkommandiert wird. Doch mit dem vergleichsweise glimpflichen, teilweise gar romantischen Start ist hier sofort Schluss. Denn Dorrigos Einheit gerät schon kurz darauf in Gefangenschaft des mit Hitler verbündeten Japan und muss als Zwangsarbeiter gemeinsam mit Abertausenden anderen alliierten Soldaten die Thailand-Burma-Eisenbahn bauen.
Als “Death Railway” berüchtigt, wird im Lauf dieser eindrucksvollen Serie mit jeder Szene klarer, warum sie auch “Todesstrecke” heißt. Weil der japanische Ehrenkodex Kriegsgefangenen nicht nur die Freiheit, sondern auch Achtung, Rang und Würde vorenthält, gelten Dorrigos Männer als wertlos – und werden für den Bau der Zugverbindung durch den Dschungel unbarmherzig verheizt. Während “Die Brücke am Kwai” von 1958, die erste von mittlerweile fünf Fiktionalisierungen dieses Menschheitsverbrechens, noch eine Heldenreise aus dem Herz der Finsternis ins Licht war, gibt es in “The Narrow Road to the Deep North” keine Heroen, sondern nur Opfer.
Unterm zerkratzten Cello von Komponist Jed Kurzel, hält Kameramann Sam Chiplin unerbittlich drauf, wenn die Aufseher ihre Arbeitssklaven weit über den Rand der Belastbarkeit hinaus schinden. Belastbar muss aber auch das Publikum sein. Es wäre kaum zu ertragen, würde die Grausamkeit nicht in ein Vorher und Nachher eingebettet.
Erzählt wird die Story nämlich aus Sicht des greisen Dorrigo – intensiv verkörpert von Ciaran Hinds, den Fans als Widerstandskämpfer Mance Rayder aus “Game of Thrones” kennen. Ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende hat der mittlerweile renommierte Chirurg ein Buch über sein Martyrium geschrieben. Nun soll er dafür widerwillig Werbung machen. In einer zweiten Perspektive bereitet sich sein junges Ich auf den Einsatz in Südostasien vor. Die dreifachen Zeitsprünge sorgen dafür, tief ins Seelenleben des Krieges und seiner Akteure – Täter wie Opfer, Beteiligte wie Außenstehende – zu blicken.
Es sind Individuen, die zugleich inner- und außerhalb ihrer Systeme agieren. Soldaten wie Rabbit (William Lodder) zum Beispiel, der selbst am tiefsten Abgrund seinen Optimismus bewahrt – und doch hineinstürzt. Heimgebliebene wie Dorrigos Geliebte Amy (Odessa Young), die in Rückblicken emanzipierter wirkt als ihre Zeit. Offiziere wie Colonel Kota (Taki Abe), der sich zwischen Empathie und Pflichterfüllung stets für letztere entscheidet und darüber philosophische Debatten mit dem ranghöchsten Offizier führt.
Dieses hierarchische Rededuell weit unter Augenhöhe zeigt, was “The Narrow Road to the Deep North” kennzeichnet: der völlig unsentimentale, am Ende aber auch deshalb leidenschaftliche Umgang mit allem, was sich rings um den Krieg und seine Konsequenzen abspielt. Genau deshalb geht die Serie über Schlachtengemälde wie “The Pacific” hinaus, in dem Tom Hanks und Steven Spielberg die Mechanik des Krieges am selben Schauplatz erkundet haben. Hier geht es um die Machtmechanismen hinter den Kriegen und was sie mit Überlebenden anstellen – oft ein Leben lang.
Was ihm aus seiner Leidenszeit beim Bau der Bahnlinie am meisten in Erinnerung geblieben sei, will eine Reporterin 1989 vom alten Dorrigo wissen. “Die seltsame, schreckliche Unvergänglichkeit des Menschen”, antwortet er nüchtern. Das bringt sein Leben ebenso auf den Punkt wie die Serie. Schon merkwürdig, was unsere Spezies fähig ist, ihresgleichen zuzufügen. Und fast noch merkwürdiger, wie wir es mitunter ertragen. Beides zeigt hochkonzentriert “The Narrow Road to the Deep North” – eine der besten Kriegserzählungen seit langem.