Der Ökonom Ottmar Edenhofer hat als wissenschaftlicher Berater eng die Verhandlungen zum Pariser Klimaabkommen begleitet. Zehn Jahre später blickt der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung kritisch zurück. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) benennt er die eklatanteste Schwäche des Vertrags – und erklärt, wie die internationale Klimapolitik neuen Schwung bekommen könnte, auch ohne die USA.
epd: Herr Edenhofer, vor zehn Jahren waren Sie maßgeblich in die Vorbereitungen des Pariser Klimagipfels eingebunden. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Reaktion, als das Abkommen am 12. Dezember 2015 verabschiedet wurde?
Edenhofer: Ja, ich erinnere mich sehr gut. Die damals herrschende Euphorie konnte ich nicht uneingeschränkt teilen. Zweifelsohne war es eine diplomatische Meisterleistung, alle Staaten auf den gemeinsamen Kampf gegen die Erderwärmung einzuschwören. Allerdings gelten für die einzelnen Staaten im Pariser Abkommen nur freiwillige Selbstverpflichtungen und keine verbindlichen Emissionsreduktionziele. Deswegen war ich skeptisch, ob uns dieses Abkommen wirklich voranbringt. Stellen Sie sich vor, Sie laden Leute auf eine Dinnerparty ein und sagen, jeder soll etwas mitbringen. Dann riskieren Sie, dass viele nichts dabeihaben.
epd: Hat sich Ihre Skepsis bestätigt?
Edenhofer: Ohne das Pariser Abkommen stünden wir sicher schlechter da. Es hat Orientierung geschaffen, Investitionen in erneuerbare Energien beschleunigt und in sehr vielen Staaten dazu geführt, dass klimapolitische Gesetze eingeführt wurden. Die Staaten legen aber bei ihren Klimazielen zu wenig auf den Tisch. Und das, was sie vorlegen, setzen sie nicht ausreichend um. Das im Abkommen festgelegte und damit völkerrechtlich verbindliche Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist in weiter Ferne. Bei der Umsetzung fehlt es vor allem an Kooperation zwischen den Staaten.
epd: Der weltweit zweitgrößte Emittent, die USA, haben sich sogar ganz aus dem Klimaabkommen verabschiedet. Ist der Multilateralismus am Ende?
Edenhofer: Er ist nicht am Ende, aber wir müssen ihn ergänzen: durch Minilateralismus. Damit meine ich Bündnisse von Akteuren, die gemeinsame Interessen haben. Ein Beispiel wären China und die Europäische Union. Beide importieren riesige Mengen Öl und Gas. Wenn sie sich darauf verständigen, diese Importe schrittweise zu verringern, könnten sie ihre Energie-Ausgaben unterm Strich senken – unterstützt durch fallende Preise für Öl und Gas auf dem Weltmarkt.
Diese Mittel könnten sie in einen gemeinsamen Fonds einzahlen und damit gezielt CO2-Minderung in Entwicklungsländern finanzieren, etwa durch den Ersatz alter Kohlekraftwerke. Nach unseren Berechnungen ließen sich so jährlich mehr als 60 Milliarden US-Dollar mobilisieren. Entscheidend ist: Diese Mittel würden nicht einfach verschenkt, sondern an überprüfbare Erfolge gekoppelt. Nur wer tatsächlich Emissionen senkt, bekommt Geld.
epd: Könnte es bei der nächsten UN-Klimakonferenz COP 30 im brasilianischen Belém um solche Initiativen gehen?
Edenhofer: Ja, in Belém sollte es auf jeden Fall um Implementierung gehen: Das wird nicht die COP der Ankündigungen, sondern die COP der Umsetzung. So eine Klimakonferenz ist ja auch eine Messe, bei der Lösungen präsentiert werden. Als Signal ist es daher wichtig, dass die EU bei ihrem Green Deal bleibt, also ihrem Maßnahmenpaket, um bis 2050 klimaneutral zu werden.
epd: Mehrere europäische Länder, darunter Deutschland, dringen aber in der EU darauf, Vorgaben des Green Deals zu lockern. Sie warnen unter anderem vor einem zu hohen CO2-Preis.
Edenhofer: Wenn der Emissionshandel verwässert oder der Green Deal ausgebremst wird, verliert Europa seine Glaubwürdigkeit und seine beispielgebende Funktion. Dann haben wir ein Riesenproblem. Der Emissionshandel darf nicht beschädigt werden, denn dank ihm konnten in der EU Wirtschaftswachstum und Emissionsausstoß entkoppelt werden. Das ist ein sehr bemerkenswerter Erfolg. Wichtig ist auch, dass die EU wie geplant ab 2026 Klimazölle auf Importe erhebt.
epd: Der Klimazoll soll verhindern, dass CO2-intensive Produkte aus Ländern ohne Klimapreis die Märkte überschwemmen. Drohen dadurch nicht Handelskonflikte?
Edenhofer: Nein. Vielmehr glaube ich, dass für andere Länder der Anreiz entsteht, selbst einen Emissionshandel einzuführen. Ein gutes Beispiel ist die Türkei. Sie exportiert große Mengen Stahl und Zement in die EU. Nun überlegt sie, einen eigenen CO2-Preis zu erheben. Denn dann blieben die Einnahmen daraus im eigenen Land, anders als bei einem Zoll.
epd: Optimisten prognostizieren, dass sich der Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft ohnehin durchsetzt, weil erneuerbare Energien längst billiger sind. Teilen Sie diese Hoffnung?
Edenhofer: Das ist aus meiner Sicht eine große Illusion. Es stimmt zwar, dass die Erneuerbaren billiger werden. Aber trotzdem sehen wir enorme Zuwächse beim Kohleausbau. Wenn die Erneuerbaren billiger und mehr genutzt werden, sinkt auch der Preis der fossilen Energieträger, die dann wieder attraktiver werden. Die Botschaft ist: Fortschritt bei den erneuerbaren Energien ist gut, aber Emissionen lassen sich ohne CO2-Bepreisung nicht vermindern.