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Nichts ist entschieden

Typisch Mann, typisch Frau: Viel hat sich getan. Frauen in politischen Leitungsfunktionen oder als Polizistinnen waren noch vor ein paar Jahren undenkbar. Genauso wie erziehende Väter in Elternzeit. Die Gesellschaft verändert sich. Aber wohin?

Sunny studio - Fotolia

„Neue Männer“ braucht das Land, lautete eine bekannte Liedzeile aus den 80ern. Tatsächlich hat sich seitdem einiges getan: Männer werden nicht mehr nur in ihrer Rolle als Familien-Ernährer gesehen. Frauen stehen alle Berufe offen. Aber es gibt auch gegenläufige Tendenzen. Wohin der Weg geht – darüber sprachen Diana Klöpper vom Frauenreferat der westfälischen Kirche und Björn Rode von der Männerarbeit mit Professor Michael Meuser.

Herr Meuser, können Sie beschreiben, wie sich Rollenbilder in den letzten Jahrzehnten verändert haben?
(Lacht.) Wo sollen wir da anfangen? Es hat sich viel verändert. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Polizeikon­trolle Mitte der 70er Jahre vor: Hätte Sie dort eine Polizistin gebeten, ins Röhrchen zu pusten, dann wären Sie zumindest erstaunt gewesen. Verkehrskontrollen waren Männersache. Heute wundert sich niemand mehr – Frauen im Streifendienst sind vollkommen normal. In der Berufs- und Arbeitswelt zeigt sich der Wandel der Geschlechterrollen deutlich. Viele traditionelle Männerberufe haben diesen Charakter heute verloren. Um es plastisch auszudrücken: Das sind Berufe, die ihr Geschlecht verändern.
Auch wenn man sich die Beschäftigungsquoten von Frauen und Männern ansieht, sind deutliche Veränderungen zu verzeichnen: Lag die Beschäftigungsquote von Frauen und Männern in den 60er Jahren noch 40 Prozent auseinander, liegt die Differenz heute nur noch bei zehn Prozent. Es sind deutlich mehr Frauen erwerbstätig als früher.
Prominente Führungspositionen in der Politik  sind heute mit Frauen besetzt. Frauen sind  heute wesentlich an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt.
Ein letztes Beispiel ist das Bildungssystem. In den 60er Jahren waren an den Gymnasien 60 Prozent Jungen. In den 80er Jahren war das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen ausgeglichen. Mittlerweile haben wir ein Übergewicht von Mädchen am Gymnasium. Allerdings werden die besseren Abschlüsse der Mädchen beim Übergang ins Berufssystem nicht automatisch entsprechend umgesetzt.

Dann hat sich also vor allem die Rolle der Frau verändert? 1982 sang Ina Deter: „Neue Männer braucht das Land!“ Wie sieht es denn damit aus?
Das traditionelle Bild vom Mann als Haupternährer hat an Legitimität verloren. Es ist nicht mehr das selbstverständlich gültige Modell, dem alle nachstreben. Die Erwartungen an die Männer haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert: Väter sollen sich beispielsweise heute viel stärker in die Erziehung und Betreuung der Kinder einbringen. Diese neue Erwartung an die Väter spiegelt sich im Bereich der Familienpolitik wider – denken Sie an die Einführung des neuen Elternzeit- und Elterngeldgesetzes im Jahr 2007, mit der Einführung der zwei Partnermonate – die heute oft als Papamonate bezeichnet werden. Neben die Figur des Vaters als Ernährer ist dieser andere Bereich neu hinzugetreten.

Was bedeutet das konkret in den Familien, im Zusammenleben von Frauen und Männern?
Es gibt nicht nur die Erwartung an Männer, sich zu verändern. Männer wollen sich selbst mehr beteiligen. Allerdings gibt es in vielen Unternehmen immer noch große Vorbehalte, wenn ein Mann mehr als die zwei Partnermonate Elternzeit nehmen oder seine Arbeitszeit reduzieren möchte. Da existieren Barrieren, weil es eine lange Tradition anderer Verhältnisse gibt, in denen wie selbstverständlich von einer uneingeschränkten Verfügbarkeit des Mannes für den Beruf ausgegangen wurde.
Im Zusammenleben von Frauen und Männern müssen die Zuständigkeiten neu ausgehandelt werden – das ist für beide Seiten oft nicht einfach. So ein Wandel vollzieht sich nicht von jetzt auf gleich. Ein Beispiel: Die Unterschiede im Zeitaufwand für die Betreuung der Kinder zwischen Vätern und Müttern sind geringer geworden. Und zwar nicht etwa deshalb, weil die Frauen sich weniger kümmern, sondern weil die Männer sich mehr kümmern. Väter wollen sich mehr um ihre Kinder kümmern und tun das vor allem am Wochenende. Auf diese Weise können Väter ihren Wunsch nach mehr Zeit mit den Kindern mit der Erwartung vereinbaren, dass sie Familien­ernährer sind. Es sind also keine radikalen Umbrüche. Es sind viele kleine Verschiebungen.

Erleben wir also den Umbruch hin zur Akzeptanz von vielfältigeren Männerbildern?
Es gibt erste Tendenzen. Das betrifft insbesondere die Position des Vaters. Da entstehen neue Bilder. Auch die Einstellungen und Werte haben sich deutlich verändert. Die Zustimmung zur Gleichberechtigung der  Geschlechter ist in den letzten Jahrzehnten auf allen Seiten deutlich angestiegen.  Aber die neuen Bilder können nicht sofort im Alltag gelebt werden. Es gibt nach wie vor die starke Verknüpfung von Männlichkeit mit Erwerbsarbeit und beruflichem Erfolg, und daneben gibt es inzwischen auch andere Entwicklungsmöglichkeiten. Das ist insgesamt eine sehr zögerliche Entwicklung.
Auf der einen Seite beobachten wir die Infragestellung und die Auflösung sehr starrer Geschlechterbilder. Auf der anderen Seite gibt es gerade in jüngerer Zeit eine Gegenbewegung, die darauf ausgerichtet ist, wieder klar abgegrenzte Geschlechterbilder zu erzeugen und durchzusetzen. Denken Sie an die Überraschungseier – es ist neu, dass die für Jungen und Mädchen in unterschiedlichen Farben auf dem Markt sind. Auch Schulbuchverlage springen auf diesen Trend auf und bieten Bücher an, die den Lernstoff für Jungen und Mädchen auf unterschiedliche Weise präsentieren. Wir haben diese Gegenläufigkeit. Das macht  Geschlechterverhältnisse momentan ein Stück weit unübersichtlich. Ich kann nicht sagen, welche Tendenz sich durchsetzen wird.

Rollenbilder haben auch stabilisierende Funktion. Kommt es durch das zunehmende Aufbrechen der Rollenbilder zu einer Verunsicherung?
So einfach kann man es nicht sehen. Zunächst ist mal zu fragen, ob es die Rollenbilder überhaupt jemals gegeben hat. Traditionell vorgegebene Rollenbilder machen den Alltag natürlich erstmal einfacher, weil man nicht so viel entscheiden und aushandeln muss.  Es ist ein Kennzeichen moderner Gesellschaften insgesamt, dass die Anbindung an Traditionen an Bedeutung verliert und die Selbstverständlichkeit, mit der sie gelebt werden, zurückgeht. Es müssen mehr Entscheidungen getroffen werden als früher. Die einen erleben das als Verunsicherung, andere als Entwicklungschance. In diesem Spannungsverhältnis steht die Entwicklung der Geschlechterverhältnisse gegenwärtig. Und Männer sind im Gegensatz zu früher stärker in diese Entwicklung hinein genommen.