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Nicht locker lassen

Leistungen der Pflegeversicherung sind oft nicht ausreichend bekannt. Viele Pflegebedürftige und Angehörige lassen Leistungen der Versicherung verfallen, weil sie schlecht informiert sind. Experten machen dafür Mängel bei der Beratung verantwortlich

© epd-bild / Klaus G. Kohn

Von Claudia Rometsch

Margarethe K. fühlt sich von ihrer Pflegekasse im Stich gelassen. „Ich hätte schon lange Anspruch auf Pflegegeld gehabt, aber davon hat meine Kasse mir nichts gesagt.“ Die rüstige 72-Jährige pflegt seit zwei Jahren ihren Mann. Ein ambulanter Pflegedienst unterstützt sie. Allerdings schöpft ihr Mann sein Budget für Sachleistungen nie voll aus. Deshalb hätte Margarethe K. eigentlich auch Anspruch auf Pflegegeld. Das aber wusste das Ehepaar bis vor Kurzem gar nicht. „Das Geld haben wir nun zwei Jahre lang der Kasse geschenkt“, ärgert sich die Rentnerin.
Das sei kein Einzelfall, beobachtet Raquel Reng, Beraterin für Sozialversicherungsrecht bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Dass Pflegesachleistung und Pflegegeld auch kombiniert werden könnten, wüssten viele Betroffene nicht. Wie Margarethe K. und ihr Mann seien etliche Pflegebedürftige und Angehörige, die sich telefonisch bei der UPD beraten lassen, nicht ausreichend über die Leistungen der Pflegekassen aufgeklärt. „Es gibt sehr große Informationsdefizite bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen.“
Diesen Eindruck bestätigt auch eine repräsentative Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP), wonach 70 Prozent der Pflegebedürftigen den ihnen zustehenden monatlichen Entlastungsbetrag von 125 Euro nicht abrufen. Dieses Geld können zuhause versorgte Pflegebedürftige zusätzlich zu den Pflegesachleistungen bekommen, um sich zum Beispiel Hilfe im Haushalt oder Begleitung im Alltag zu finanzieren.
Regelmäßig ließen Pflegebedürftige auch Geld verfallen, weil sie den sogenannten Umwandlungsanspruch nicht kennen, sagt Reng. Dieser ist interessant für Pflegebedürftige, die ihr Budget für Pflegesachleistungen nicht vollständig abrufen. Den Restbetrag können sie dann nämlich teilweise für Unterstützung im Alltag verwenden, etwa für eine Haushaltshilfe. Allerdings müssten sie das bei ihrer Pflegekasse beantragen. Viele Betroffene wüssten das aber gar nicht, sagt Reng.
Offenbar sei es den Pflegekassen auch ganz recht, dass die Patienten oft schlecht informiert seien. „Eine große Kasse hat gegenüber einem meiner Kollegen sogar eingeräumt, dass sie nicht auf den Umwandlungsanspruch hinweist.“ Der Grund könne sein, dass das Bundesgesundheitsministerium diese Regelung bis Ende des Jahres evaluiert, mutmaßt Reng. Möglicherweise spekulierten die Pflegekassen darauf, dass der Umwandlungsanspruch abgeschafft wird, wenn er nachweislich kaum genutzt werde.
Auch Gudula Wolf von der Senioren- und Pflegeberatung des AWO-Bundesverbandes kritisiert, dass die von den Pflegekassen herausgegebenen Informationen oft recht oberflächlich seien. Viele informierten die Versicherten noch nicht einmal darüber, dass sie zusätzlich einen Anspruch auf eine unabhängige kostenlose Beratung hätten. Ob die Betroffenen gute Informationen bekämen, sei oft Glückssache: „Die Qualität der Beratung ist teilweise bedenklich, vor allem in ländlichen Gebieten.“
Dabei sollte eine gute Beratung eigentlich bundesweit durch Pflegestützpunkte sichergestellt werden. Doch weil nicht alle Bundesländer in gleichem Maße mitziehen, ist die Versorgung mit den Beratungsstellen regional sehr unterschiedlich.
Während Rheinland-Pfalz flächendeckend mit Pflegestützpunkten versorgt ist, verfügt Thüringen nur über einen einzigen. In Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es gar keine Pflegestützpunkte. „Aus unserer Sicht müsste das Netz dringend besser ausgebaut werden“, sagt Wolf. Die Beantragung von Leistungen sei oft so kompliziert, dass es kaum ohne kompetenten Rat zu schaffen sei.
Die Lücke in der Versorgung mit Pflegestützpunkten wird zwar teilweise von Beratungsstellen der Kommunen oder der Wohlfahrtsverbände geschlossen. Patientenberaterin Reng sieht das allerdings kritisch: „Bei den Wohlfahrtsverbänden könnte es einen Interessenskonflikt geben, weil sie oft zugleich auch Anbieter von Pflegedienstleistungen sind.“
Margarethe K. hat inzwischen eine Beratungsstelle gefunden, die sie und ihren Mann genau über ihre Ansprüche aufgeklärt hat. Nun will sie versuchen, das Pflegegeld, das ihr in den vergangenen zwei Jahren entgangen ist, nachträglich noch zu beantragen: „Ohne Hilfe würde ich das aber überhaupt nicht schaffen.“

Informationen im Internet: www.patientenberatung.de; www.awo-pflegeberatung.de.