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Neues wagen

Andacht über den Predigttext zum 1. Sonntag nach Trinitatis: Johannes 5, 39-47

Cord Husemeyer

Predigttext
39 Ihr sucht in den Schriften, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie sind‘s, die von mir zeugen; 40 aber ihr wollt nicht zu mir kommen, dass ihr das Leben hättet. 41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen an; 42 aber ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt. 43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. 44 Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht? 45 Meint nicht, dass ich euch vor dem Vater verklagen werde; der euch verklagt, ist Mose, auf den ihr hofft. 46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. 47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?

Angegriffen und in eine Ecke geschoben fühle ich mich, als ich den Text lese. Es ist wie ein hartes Urteil, das Jesus da ausspricht.
„Warum muss ich mir diese Dinge an den Kopf werfen lassen?“, frage ich mich. Ich bin doch mit dem Herrn unterwegs, gehe regelmäßig in den Gottesdienst und sage ihm meine Liebe zu.
Was ist daran schlecht, dass ich meine stille Zeit mache, in der Bibel lese und theologisch forsche?
Doch dann begreife ich: Der Text ist zuerst einmal adressiert an „die Juden“. Und „die Juden“ sind für den Evangelisten Johannes ein Feindbild, das sich aus der historischen Situation erklären lässt, in der sein Evangelium entstand. Für Johannes sind „Juden“ – und speziell die Schriftgelehrten und Pharisäer – die, die sich absonderten, um in besonderer Weise Gott nachzueifern. Sie wollten es besonders richtig machen. Gesetze und Vorschriften, die der Normalbürger so gut es ging einzuhalten versuchte, pflegten sie doppelt so gut zu erfüllen.
In der Heilung, die Johannes zu Beginn des 5. Kapitels erzählt wird, kann man seine Einschätzung dieser Gesetzesstrenge sehen: Es gelingt „den Juden“ nicht, sich mit dem Mann am Teich Betesda zu freuen, dessen Lähmung durch ein Wunder Jesu weggenommen wurde. Vielmehr weisen sie ihn darauf hin, dass man am Sabbat nichts mit sich herumtragen dürfe. Sie scheinen blind für das eigentlich Gute, für das Wunderbare, das da geschehen ist.
An die Gebote und Gesetze in den Schriften muss man sich eben halten. Immerhin werden Wohl und Glück dem Menschen zugeschrieben, der Lust am Gesetz des Herrn hat und über seinem Gesetz sinnt Tag und Nacht, wie es in Psalm 1 zu lesen ist.
So ist es zunächst verwunderlich, wenn Jesus die Juden damit rügt, dass sie in den Schriften nach dem ewigen Leben und nach Gott suchen würden.
Doch, so meint der Evangelist Johannes: Leider übersehen sie bei diesem Schriftstudium das Offensichtliche: Jesus. Die Gottessuche der Juden führt in die Ferne, da sie nicht an Jesus Christus vorbeiführt. Das Durchforschen der Schriften ist ein Tappen im Dunkeln, da es ohne das lebendige Licht geschieht. Die Juden bleiben Gott fern, da sie sich von Christus fernhalten. Darauf basiert die Kritik Jesu in dieser Rede, die Johannes überliefert.
Und sie klingt harsch und schroff. Doch ich erkenne hinter der Kritik die große Liebe Gottes zu seinen Menschen. Es verlangt ihn danach, Menschen zu gewinnen. Daher hat er seinen Sohn geschickt. Jesus sagt es auch selbst: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen“. Jesus weist darauf hin, dass nichts ohne ihn Sinn macht und durch ihn alles ist. Trotzdem erfährt er weiterhin Ablehnung und Missachtung. Damals wie auch heute.
In dem Verhalten, das Johannes den Pharisäern zuschreibt, liegt meines Erachtens Angst. Angst, etwas falsch zu machen. Angst, vor Gott zu versagen. Angst, klein dazustehen. Aber auch die Angst, Neues zu wagen. Ich denke, dass wir diese Angst kennen. Lieber halten wir uns an dem fest, was wir kennen. Die festgetretenen Pfade erscheinen sicher.
Dabei liegen Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten doch hinter uns. Das Wort, das den Juden durch Mose bezeugt wurde, ist vom Tode auferstanden. Der Heilige Geist ist ausgegossen. Jesus ist ganz nah bei uns.
Er ermutigt uns, ihn aufzusuchen, zu ihm zu kommen. Direkt. Unmittelbar. Bei ihm haben wir das Leben. Jesus will kein Superheld sein, der sich von der Menge anhimmeln lässt. Vielmehr möchte er uns einen Weg zum Himmel zeigen, indem wir uns ihm anschließen und an ihn glauben. Ihm vertrauend, dürfen wir uns freuen, dass unsere Namen im Himmel geschrieben sind (siehe auch S. 2).