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Neue Helden braucht das Land – Passauer Prof sammelt “Alltagsheilige”

Wer kann heutzutage noch etwas mit Heiligen anfangen? Viele Kinder und Jugendliche vermutlich eher nicht. Bei Helden aus der Nachbarschaft sieht es aber vielleicht anders aus. Die sammelt ein Passauer Religionspädagoge.

Von A wie Asylhilfe bis Z wie Zivilcourage. Von der Aktion Papperlapp bis Zizlsperger-Schmidt. Von der Caritas-Suppenküche bis zur Miss Germany: Menschen, die nicht bei sich stehen bleiben, sind der oft beschworene Kitt der Gesellschaft. Gott sei Dank gibt es sie noch, diese Heldinnen und Helden des Alltags: an Krankenbetten, in Flüchtlingscamps, in Tafeln, an Brandherden. Es wären bestimmt genug, um den römisch-katholischen Heiligenkalender jederzeit aktualisieren zu können.

Im sogenannten Martyrologium Romanum sind 6.650 Heilige und Selige verzeichnet, dazu 7.400 Märtyrer. Von solchen Zahlen ist der Passauer Theologieprofessor Hans Mendl noch weit entfernt. Er hat rund 300 Personen in einer Datenbank aufgelistet. Sie zeichnen sich dadurch aus, die auf einem bestimmten Gebiet Vorbildliches leisten. “Local heroes” – lokale Helden – nennt er das Projekt.

Seit 25 Jahren durchstöbern die Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter von Mendls Lehrstuhl für Religionspädagogik die lokalen Printmedien. Durchaus schon am Frühstückstisch. Seine “Heiligen der Unscheinbarkeit”, wie Mendl diese Personen nennt, “müssen über ihr Engagement hinaus keine perfekten Menschen sein. Sie sind manchmal auch nur für eine gewisse Zeit aktiv und dürfen auch kritisch angefragt werden”. Aber sie eignen sich “besonders gut für orientierendes Lernen”.

Mendls Credo: “Kinder, Jugendliche, aber auch erwachsene User der Datenbank sollen durch die Local heroes dazu motiviert werden, über eigene Vorstellungen eines guten und gelingenden Lebens und über Potenziale eines eigenen gesellschaftlichen und religiösen Engagements nachzudenken”. Wichtig ist dem Religionspädagogen: “Sie leben in der unmittelbaren Umgebung, sind Menschen “wie du und ich”. So bilden sie eine Brücke zwischen dem Alltag und den Lebensvorstellungen der Schüler. Kurz gesagt: Sie belegen den “Mehr-Wert christlich-sozialen Verhaltens”.

Gipfelstürmer der Heiligkeit sollen sie gerade nicht sein. Nicht jeder kann Mutter Teresa, ist exzentrisch wie ein Franz von Assisi oder radikal hingebungsvoll wie ein Maximilian Kolbe. Aber auch kleine Schritte können zum Erfolg oder Erfüllung einer christlichen Existenz führen. Und das nebenan und zur Jetzt-Zeit. Unmittelbare Begegnungen sind durchaus möglich und erwünscht.

Ob Papst Franziskus von dem Passauer Projekt wusste, ist nicht überliefert. Aber er hat verfügt: Am 9. November werden künftig die katholischen Bistümer weltweit ihrer lokalen “Alltagsheiligen” gedenken. Aus Passau könnte der Anstoß durchaus gekommen sein. Denn das vatikanische Staatssekretariat hat Mendls Initiative gewürdigt.

Auch im digitalen Raum spürt Mendl geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für seine Liste auf: “Sinnfluencer” wie etwa Miss Germany Domitila Barros, eine Vorreiterin für Nachhaltigkeit und soziales Engagement. Auf Social-Media-Plattformen zeigen sich ganz neue “Helden”, präsentieren ihre Vorstellung eines gelingenden Lebens. Manche wirken recht oberflächlich, “einige haben aber auch Tiefgang”, unterstreicht Mendl.

In die Datenbank aufgenommen werden Personen, “die Ausflüge in gute Welten wagen”. Damit sollen sich Kinder und Jugendliche beschäftigen, darüber diskutieren und davon ausgehend eigene Vorstellungen eines guten und verantwortbaren Lebens entwickeln.

Das will auch katholischer Religionsunterricht. Deswegen ist der Bezug zur Realität heutiger Schule genauso wichtig. Mendl und sein Team bieten zu ausgewählten “Local heroes” Unterrichtsmaterial, Fachliteratur, Projekte und Ausstellungen an.

Alles andere als moralinsauer will das Projekt daherkommen, schon gar nicht abgehoben in unerreichbare Sphären himmlischer Heiligkeit. Es geht schlicht um Vorbilder. Lange waren sie out. Aber sie haben wieder Konjunktur. Gerade in einer Zeit, in der gerade im Netz auch radikale Rattenfänger unterwegs sind.

Die Gesellschaft und die kommenden Generationen brauchen Vorbilder. Solche, die es wert sind, auch so bezeichnet zu werden. Orientierung sollen sie geben, bewundert dürfen sie werden. Nachahmen sollte man sie. Zeit für neue Heldinnen und Helden in diesem Land.