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Neue Exponate bei Ausstellung 1.300 Jahre Klosterinsel Reichenau

Um die kostbaren Handschriften zu schützen, werden sie zur Ausstellungs-Halbzeit getauscht. Ab Mittwoch sind im Archäologischen Landesmuseum Konstanz neue Meisterwerke zu entdecken.

Am Anfang war das Chaos: Urwald, Bestien, Schlangen. Aber die Ungeheuer fliehen und ertrinken im Bodensee, als der heilige Pirmin im Jahr 724 auf die Insel kommt und den Grundstein des Klosters Reichenau legt. So berichtet es die Legende.

Von der legendären Gründung bis zur kulturellen, religiösen und politischen Blüte im neunten und zehnten Jahrhundert – diesen Aufstieg der Abtei auf der Bodensee-Insel zeigt die Ausstellung “Welterbe des Mittelalters” im Archäologischen Landesmuseum Konstanz. Zur Halbzeit kommen jetzt neue weltberühmte Handschriften.

Dass die Mönche keineswegs einsam hinter Klostermauern lebten, beweist das Reichenauer Verbrüderungsbuch. “Darin sind 38.000 Namen von Mönchen, Herrschern, Pilgern und Freunden des Klosters aufgeführt. So etwas wie das Internet des Mittelalters und ein Dokument der europäischen Vernetzung”, sagt Ausstellungsmacher Olaf Siart.

Die Ausstellung führt chronologisch von der Abteigründung bis zum Verlust der Selbstständigkeit im Jahr 1540, als die Jahrhunderte überdauernde Autonomie der Mönche endete. In einem schleichenden Prozess verlor das Kloster nach und nach seinen Einfluss und seinen ehemals sehr großen Grundbesitz.

Präsentiert werden in Konstanz auch neue Forschungsergebnisse zur Architektur und zur Schreibkunst des Mittelalters. Die Ausstellungsdesigner haben einen Altarraum nachgebaut, um die prachtvollen Goldkelche, Monstranzen und Altarteppiche in Szene zu setzen. Wer im Chorgestühl Platz nimmt, hört liturgische Gesänge des zehnten Jahrhunderts: für die Ausstellung eingesungen von Profimusikern im Reichenauer Münster.

Den Höhe- und Mittelpunkt der Schau mit rund 900 Quadratmetern Ausstellungsfläche bildet das Skriptorium: der Ort, an dem die Mönche religiöse Texte verfassten und Bibelhandschriften gestalteten. Farbigkeit und Klarheit der bis zu 1.200 Jahre alten Pergamentzeichnungen sind atemberaubend. “Noch nie zuvor ist es gelungen, wieder so viele Prachthandschriften der Reichenau an ihren Entstehungsort zurückzubringen”, sagt Kurator Siart.

Die herausragenden Pergament-Bände sind Unesco-Weltdokumentenerbe. Das mit einem Gold-Elfenbein-Einband verzierte Poussay-Evangelistar (10. Jahrhundert) geht jetzt aus konservatorischen Gründen zurück in die Pariser Bibliotheque Nationale. Neu präsentiert werden dafür beispielsweise der prachtvolle Codex Egberti aus Trier und der Gero-Codex aus Darmstadt.

Berühmt wurde die Reichenau auch als Ort der Wissenschaft. Walahfrid Strabo (um 808 bis 849) forschte zur Gartenbaukunst – sein “Hortulus”-Buch ist Vorbild für die zum Jubiläum neu angelegten Klostergärten auf der Insel.

Hermann der Lahme (1013-54) gilt als Stephen Hawking des Mittelalters. Das Universalgenie forschte trotz körperlicher Behinderung zu Astronomie, Mathematik und Musik. Die Ausstellung präsentiert ein Astrolabium, ein mittelalterliches Instrument, um den Lauf der Gestirne zu beobachten.

Als Beispiele für die sakrale Architektur des frühen und hohen Mittelalters zeigt die Schau Ornamente und Altarverzierungen aus Oberitalien. In der Nähe von wichtigen Alpenübergängen gelegen, pflegte die Reichenau enge Kontakte dorthin. Auch bei der Gestaltung der Kirchen der Reichenau arbeiteten italienische Steinmetze mit. Einblicke ins Alltagsleben gewährt ein bei archäologischen Grabungen gefundener Spielwürfel.

Die Verbindung zwischen Konstanzer Ausstellung und den Denkmälern, Kirchen und Geschichten auf der Reichenau ermöglicht eine eigene, kostenfreie Ausstellungs-App: inklusive Push-Nachrichten für die Gebetszeiten der heutigen Benediktinergemeinschaft auf der Reichenau.