Der knapp zehn Kilogramm schwere Rucksack drückt auf den Schultern, die Füße könnten eine Pause vertragen. Schritt für Schritt geht es bergauf durch grüne Wälder bis zum kahlen Gipfelplateau des Feldbergs, wo im Frühsommer manchmal noch Schnee liegt. Der Wind pfeift, die Wanderer haben ihr wichtigstes Etappenziel auf dem Westweg erreicht, dem zweitältesten Fernwanderweg in Deutschland nach dem Rennsteig in Thüringen: 1.493 hoch ist die Spitze des höchsten Bergs im Schwarzwald. Der grandiose Panoramablick über die Vogesen und den Oberrheingraben, die Schwäbische Alb und die Alpen entschädigt für alle Mühen.
Der Westweg: Für viele Wanderinnen und Wanderer ist er ein Klassiker. Im Sommer und Herbst 1900 – vor 125 Jahren – schilderten ihn zwei Mitarbeiter des Badischen Schwarzwaldvereins als ersten Fernwanderweg in Deutschland durchgängig aus. Der Höhenweg verläuft quer durch den Schwarzwald von Pforzheim nach Basel in der Schweiz. Der Westweg ist rund 285 Kilometer lang und verbindet zehn über 1.000 Meter hohe Gipfel von Deutschlands größtem Mittelgebirge miteinander.
Auf 12 bis 13 Tagesetappen geht es über Höhenzüge und Täler, durch Nadel- und Mischwälder. Hochmoore, Seen, saftige Wiesen und malerische Dörfer mit Fachwerkhäusern locken entlang der Strecke. Sie führt meist auf Schotter- oder Erdwegen durch die von Forst- und Weidewirtschaft geprägte Kulturlandschaft.
„Der Weg ist so etwas wie die Initialzündung für das touristische Wandern“, sagt Jens Kuhr, Sprecher des Deutschen Wanderverbands in Kassel. Der anspruchsvolle Wanderweg sei Vorreiter für andere Fernwege in den vergangenen Jahren gewesen. Der Wanderverband würdigte ihn mit dem Prädikat „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“. Eine Marketing-Kooperation von Tourismusverbänden nahm ihn in die Liste der 13 beliebtesten Wanderwege „Top Trails of Germany“ auf.
Das Westweg-Zeichen, eine rote Raute auf weißem Grund, leitet sicher über den Höhenweg. Wandersleute müssen dafür allerdings schon etwas körperliche Kondition mitbringen. Auf den von Ehrenamtlichen des Schwarzwaldvereins gut gepflegten und beschilderten Pfaden erschließt sich die landschaftliche Schönheit des Schwarzwaldes. Mehr als 20.000 Westweg-Wanderer, vor allem aus Deutschland und den Benelux-Staaten, reisen jährlich nach Schätzungen des Verbandes Schwarzwald Tourismus in Freiburg an.
Zwischen 15 und knapp 30 Kilometer lang sind die Tagesetappen. Am Titisee in der Feldbergregion teilt er sich in eine westliche und östliche Strecke. Besonders sehenswert ist etwa das Hochmoor Kaltenbronn mit dem Wildsee im Nordschwarzwald – ein Relikt der letzten Eiszeit. Der 1.360 Meter hohe Belchen zieht als sagenumwobener Berg der Kelten esoterische Sinnsucher an.
„Die abwechslungsreichen Landschaften, durch die man wandert, sind für mich ein Highlight“, sagt Wanderer Rüdiger Staud aus Bretten. Den Westweg „machte“ der 60-Jährige in mehreren Tagesetappen über einen Zeitraum von fünf Jahren. Auch wenn man häufig allein auf dem Weg ist, trifft man doch immer wieder Mitwandernde: Eine junge Österreicherin streift auf dem deutschen Teil des Europäischen Fernwanderwegs E1 von Flensburg nach Konstanz auch den Schwarzwald. Ein Ehepaar trägt Zelt und Campinggeschirr mit sich und übernachtet in Schutzhütten.
„Wandern macht einfach Spaß“, sagt Lena aus Ettlingen. Mit seiner Mutter hat das Mädchen die deutlich schönere Westvariante gewählt, die über die Gipfel von Feldberg, Belchen und Blauen führt. Wandern liege auch bei jüngeren Menschen wieder im Trend, der Wandertourismus boome, sagt Wanderverband-Sprecher Kuhr. Die Menschen suchten vor allem das Naturerlebnis, wollten sich bewegen und damit etwas für ihre Gesundheit tun.
Der Westweg führt durch Schutzgebiete wie zwei große Naturparks sowie den Nationalpark Schwarzwald und das Biosphärengebiet Schwarzwald. Mit etwas Glück sieht man dort seltene Tier- und Pflanzenarten wie das Auerhuhn, den Luchs, den gelben Enzian oder Orchideen. Heiß diskutiert zwischen Landwirten und Naturschützern wird die Rückkehr des Wolfes: „Schützt unsere Herden“ fordern Plakate auf Weiden im Südschwarzwald.
Auch die Auswirkungen des Klimawandels im Schwarzwald können auf dem Westweg betrachtet werden: Borkenkäfer haben etwa am Feldsee am Feldberg viele Bäume zerstört. Der Orkan Lothar verwüstete im Jahr 1999 den Nordschwarzwald – die Wiederaufforstung wird noch Jahrzehnte dauern.
Problematisch ist die sinkende Zahl von Übernachtungsmöglichkeiten am Westweg. Wanderinnen und Wanderer müssen oft zusätzliche Kilometer zurücklegen, um ein Hotel zu finden. Verbesserungen sollen etwa Gepäcktransporte, Fahrzeug-Transfers oder Übernachtungen in Trekking-Camps bringen, sagt Jens Großkreuz von Schwarzwald Tourismus und wirbt: „Noch immer nach 125 Jahren ist der Westweg ein lohnendes Wander-Abenteuer.“