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Nach Festnahme – Istanbuls Bürgermeister von seiner Partei enttäuscht

Die stärkste türkische Oppositionspartei CHP sieht sich nicht nur Angriffen der Regierung ausgesetzt. Nun versinkt sie zusehends in einem erbitterten internen Streit.

100 Tage nach seiner Festnahme verzweifelt der inhaftierte Istanbuler Bürgermeister und Präsidentschaftskandidat Ekrem Imamoglu an seiner eigenen Partei, der oppositionellen CHP. “Ich fühle mich zutiefst verraten”, ließ sich Imamoglu am Freitag von der Oppositionspresse zitieren: Der frühere Parteivorsitzende Kemal Kilicdaroglu falle ihm und allen anderen inhaftierten CHP-Politikern in den Rücken.

Hintergrund des Streits ist ein innerparteilicher Machtkampf um den Vorsitz, der in den vergangenen Tagen öffentlich eskalierte und die Partei nun zu zerreißen droht. Imamoglu sitzt seit seiner Festnahme am 19. März hinter Gittern. Ihm und weiteren CHP-Politikern wird Korruption vorgeworfen. Unterstützer halten das Vorgehen der Justiz indes für politisch motiviert. Die Festnahme sorgte international für Kritik, auch aus Deutschland gab es empörte Stimmen.

Der anhaltende Machtkampf belastet die CHP zusätzlich. Kilicdaroglu war bei einem Parteitag vor eineinhalb Jahren abgewählt und vom aktuellen Vorsitzenden Özgür Özel abgelöst worden, der wie Imamoglu zu den Reformern zählt. Dagegen legten Anhänger von Kilicdaroglu gerichtlich Widerspruch ein und behaupteten, etliche Stimmen für Özel seien gekauft worden. Ein Verhandlungstermin ist für Montag angesetzt. Sollte das Gericht der Beschwerde stattgeben, könnte es Kilicdaroglu wieder als Parteivorsitzenden einsetzen. Wenn dieser ablehnen sollte, würde ein staatlicher Zwangsverwalter an die Spitze der Oppositionspartei gestellt.

Kilicdaroglu signalisierte zuletzt, dass er eine gerichtliche Wiedereinsetzung nicht ablehnen würde. Er werde die Partei nicht einem Zwangsverwalter überlassen, sagte er und verschärfte damit den innerparteilichen Streit. “Ich bin tief verletzt und unbeschreiblich niedergeschlagen”, teilte Imamoglu aus dem Gefängnis mit.

Wenige Tage vor Prozessbeginn stürzt der Streit die CHP in eine tiefe Krise. Mehrere CHP-Politiker stellten sich in der Nacht zu Freitag öffentlich hinter Kilicdaroglu, andere drohten mit einem Parteiaustritt, falls dieser obsiegen sollte.