Ich sitze vorm Fenster. Aus meinen Kopfhörer rieseln leise Klänge in die Ohren. Die sanfte Musik beruhigt meine Nerven. Ich bin völlig entspannt. Perfekte Mittagspause.
Zwei Zimmer weiter das krasse Gegenprogramm: Hits der 80er Jahre peitschen jemanden zu wahren Höchstleistungen. Hüpfen, Springen, mit und ohne Trampolin – am Ende der Mittagspause wird die beste aller Ehefrauen atemlos, aber vollständig glücklich sein.
Musik hat diese Wirkung. Sie kann Menschen beruhigen. Oder bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit aufputschen. Schon die Bibel berichtet davon, wie David den vermutlich psychotischen König Saul mit seiner Lautenmusik besänftigte. Das völlige Gegenteil davon stellen Militärmärsche dar, deren Rhythmus und Klanggewalt Menschen schier endlos weiter marschieren ließen. Und auch aus Gottesdiensten kennt man die gewaltige Wirkung von Klängen: etwa, wenn die Gemeinde nach einem fröhlichen und inbrünstigen Gesang gestärkt die Kirche verlässt.
Heute ist Sonntag, und der liturgische Name dieses Tages lautet: Kantate. Das ist lateinisch, und zwar die Aufforderung: SINGT!
Singt. Ja, wie denn?
Im Moment ist den meisten von uns wohl eher nach Klagen zumute. Denn auch beim Singen und Musizieren gilt: Vieles ist zurzeit schlicht nicht möglich. Das ist deprimierend.
Aber einiges ist eben doch möglich. Manches vielleicht sogar besser, also zuvor.
Zwar fehlen die Chorstunden. Der gemeinsame Gesang oder die Klavier- oder Posaunenunterricht beim Lehrer oder der Lehrerin. Konzertbesuche. Stattdessen aber könnte man folgendes versuchen:
Lieder abspielen und mitsingen. Lange Zeit wurde das sogenannte Karaoke hierzulande belächelt. Aber warum nicht einfach mal probieren? Platte auflegen. Oder Musik vom Computer abrufen. Oder Radio anschalten – und dann aus Leibeskräften mitsingen. Wenn man erst mal die Hemmungen fallengelassen hat, kann das unglaublich befreiend wirken, geradezu himmlische Freude bereiten.
Gerade die Lieder der eigenen Jugend entwickeln dabei einen fast magischen Sog. 60er, 70er, 80er Jahre – es gibt eigens dafür sortierte Zusammenstellungen, sogenannte Playlists. Beatles. Mary Roos. Reinhard Mey. Als CD-Boxen, Radioprogramme und Computerlisten; und inzwischen sogar auch wieder als Schallplattensammlungen. Und wer dabei tanzen, hüpfen und springen mag – warum nicht?
Das funktioniert auch mit klassischer Musik. Und auch das kräftige Mitsingen bei Fernseh- oder Onlinegottesdienst kann Trost und Kraft geben.
Und noch ein ganz heißer Tipp: Musikunterricht per Video und Internet. Gesang, Gitarre, Klavier. Gerade jetzt haben viele Profimusikerinnen und -musiker Zeit und Interesse daran, solche Unterrichtsstunden zu geben. Angebote gibt es im Internet kostenlos auf Youtube, die sind perfekt zum Reinschnuppern. Und wer auf den Geschmack kommt, kann gegen Honorar tiefer einsteigen. Das Ganze hat dann noch den lobenswerten Nebeneffekt, dass auch die Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden.
Wir wollen nichts schönreden: Es sind harte Zeiten. Umso mehr gilt: Machen wir das Beste daraus. Die Musik kann dabei eine wundervolle Helferin sein.