Zwei Frauen schlafen nicht – Sina kaum noch, Janis nur dann, wenn andere wach sind. Ein Roman erzählt von ihrer Freundschaft. Die Geschichte kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus – und macht genau deshalb nachdenklich.
Die Basis, auf der das Leben fußt – das ist Schlaf für Tamar Noort. Für ihr erstes Buch erhielt die Schriftstellerin vor drei Jahren den Hamburger Literaturpreis; am Dienstag erscheint ihr neuer Roman: “Der Schlaf der anderen”. Wenn Schlaf fehle, werde das Leben fragil, sagt Noort – alles gerate ins Wanken.
Immer mehr Menschen kämpfen mit Schlaflosigkeit: Sieben bis acht Prozent der Menschen hierzulande leiden laut Schätzungen an einer chronischen Insomnie, also Ein- und Durchschlafstörungen. Zugleich sei vielen nicht bewusst, wie wichtig Schlaf für die seelische und körperliche Gesundheit sei, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Von einer chronischen Störung sprechen Fachleute, wenn die Symptome länger als drei Monate anhalten und mindestens dreimal wöchentlich auftreten.
Diese Zahlen zeigten, dass das Thema eine gesellschaftliche Dimension habe, sagt Noort im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): “Guten Schlaf muss man sich leisten können.” So sei es nicht selbstverständlich, eine geräuscharme Umgebung schaffen zu können. In unsicheren Gegenden schlafen Menschen schlechter, vor allem ältere Menschen – und Frauen.
Auch die Hauptfiguren von “Der Schlaf der anderen” sind weiblich. Frauen hätten eigentlich bessere Voraussetzungen für erholsame Nächte, “weil sie sich in der Regel gesünder ernähren, weniger Übergewicht haben und weniger Alkohol trinken”, erklärt die Schriftstellerin. Dass die Realität anders aussieht, habe auch damit zu tun, dass Frauen mit mehr “Mental Load” konfrontiert seien, also Alltagsbelastungen durch Familien- und Hausarbeit. “Wenn der Kopf nie zur Ruhe kommt, läuft er eben auch nachts weiter.”
Den Roman zeichnen indes jene feinen Beobachtungen und jene sanfte Sprache aus, die schon Noorts Debüt lesenswert gemacht hatten. Die Figuren sind zerbrechlich, geben aber nicht auf; sie hinterfragen ihre Lebensentscheidungen, als sie merken, dass nichts so selbstverständlich ist, wie es scheint – nicht einmal der Schlaf.
Menschen auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, das sieht die Autorin selbst als bleibendes Thema ihrer Bücher. “Sina hat sich Orientierungspunkte geschaffen, indem sie alles so gemacht hat, wie es von ihr erwartet wurde.” Als Lehrerin mit Mann und zwei Kindern, Hund und Häuschen endet Sinas Geschichte aber nicht: “Dann fängt die Persönlichkeitsentwicklung erst an”, erklärt Noort. “Ich glaube, dass es sich lohnt, einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen, was man braucht, um den Geist lebendig zu halten.”
Das hat auch Janis, die zweite Hauptfigur, länger nicht getan. Sie ist Nachtwache im Schlaflabor; dort begegnen die Frauen einander und entwickeln eine besondere Nähe. Ein düsteres Gefühl verbindet sie: “Sina ist einsam in ihrer Familie, weil sie vor lauter Erschöpfung nicht mehr in der Lage ist, Verbindungen zu den Menschen aufzubauen, die sie liebt. Janis hat sich mit einer Art Schutzmechanismus von der Welt abgekapselt”, erklärt die Autorin. Die Taktung von Nachtarbeiterin Janis passt zudem nicht zu ihrer Umgebung – auch dies spiegelt die Realität vieler Schichtdienstler.
Doch was kann man nun tun, wenn man – trotz guter Lektüre – keinen Schlaf findet? “Die Taktung des Lebens richtet sich nach der Arbeit, nicht nach Grundbedürfnissen”, mahnt die Schriftstellerin. Denn das würde bedeuten: Schlaf, wenn man müde ist.
Das bestätigen Fachleute. Den individuellen Schlafbedarf “sollte möglichst jeder erfüllen”, also im eigenen Rhythmus bleiben, Beleuchtung gezielt einsetzen und tagsüber vielleicht einen Power Nap einlegen – dazu der Gesundheitswissenschaftler André Alesi. Manchen Menschen brauchten sechs Stunden, andere neun, sagte Alesi kürzlich der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung”.
Noort ergänzt, im Zweifel nicht zu lange zu warten, bis man sich Hilfe suche. “Viele Menschen sagen, ich schlafe seit Jahren nicht gut, das gehört eben zu mir.” Doch den Raum für guten Schlaf müsse sich die Gesellschaft wieder erobern – so wie Sina schließlich im Roman.