Seit knapp drei Wochen trifft man viele Jugendliche mit dem Handy in der Hand auf Feldwegen, an Kirchentüren, im Wald oder auf Friedhöfen. Der Grund nennt sich „Pokémon Go“, ein Online-Spiel, bei dem kleine Zeichentrickfiguren in der realen Umwelt gesucht werden. Der süße Pikachu, die coole Mauzi und der lilafarbene Bluzuk lauern nämlich gerade überall: an der Ampel, auf der Brücke, im Supermarkt, an der Tankstelle – sogar auf dem Friedhof.
Vorgänger: Videospiel aus dem Jahr 1996
Hinter den merkwürdigen Namen verbergen sich sogenannte Pokémons, japanische Zeichentrickfiguren. Die bunten kleinen Monster tauchten erstmals 1996 in einem Videospiel auf. Die Spieler sammelten auf dem heimischen Bildschirm Pokémons und trainierten sie, um anschließend mit ihnen Kämpfe gegen andere Figuren auszufechten.
Die neue Version nennt sich „Pokémon Go“ und wird mittels einer App auf dem Smartphone gespielt. Die Umgebung, in der die kleinen Monster gefangen werden, ist nicht länger fiktiv. Die Figuren werden in die reale Umwelt hineinprojiziert. Man sieht auf dem Handy wie durch eine Kamera den Feldweg vor sich, auf dem ein Comicmonster sitzt. Es geht darum, mit einem Wisch auf dem Bildschirm die Figur möglichst schnell einzufangen. Langsam baut man sich so seinen eigenen „Zoo“ auf.
Um den Standort des Spielers zu ermitteln, nutzen die Hersteller GPS-Daten. Die meisten Pokémons befinden sich an Sehenswürdigkeiten, Wahrzeichen und anderen auffälligen Objekten. Auch vor sakralen Bauten machen sie nicht halt. So sind bereits Figuren im Würzburger Dom und auf verschiedenen Friedhöfen gesichtet worden. Auch das Medienhaus, in dem UK entsteht, ist ein so genannter „PokéStop“. Das Spiel ist innerhalb weniger Tage zu einem Renner geworden.
Thomas Dörken-Kucharz vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland im Beirat der USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle), die für den Jugendschutz bei Computerspielen zuständig ist. Ihn fasziniert das neue Spiel. „Es verbindet, regt zu Diskussionen unter Jugendlichen an und bringt sie raus in die Natur. Es wird jetzt nicht mehr darüber diskutiert, wie lange man online bleiben darf, sondern wie lange man draußen bleiben kann.“
Außerdem entdeckten die jungen Leute ihre Umwelt ganz neu. Sein 14-jähriger Sohn habe gerade ein Pokémon an einem Stolperstein gefunden, der ihm vorher nie aufgefallen sei, sagte Dörken-Kucharz. Es stelle sich aber auch die Frage, welche Orte nicht von den kleinen Monstern besiedelt werden sollten, wo also Grenzen zu ziehen seien. „Ein Giftgasmonster an einem Holocaust-Mahnmal ist eindeutig unzulässig“, erklärte er. Nintendo habe aber schon darauf reagiert: Es wurde sofort entfernt.
Unzulässige Orte können gemeldet werden
Jeder Spieler kann unzulässige Orte melden, etwa wenn er die Totenruhe beeinträchtigt sieht. „Pokémonfiguren an oder in Kirchen empfinde ich aber nicht als Grenzüberschreitung. Es ist doch gut, dass Leute in unsere Kirchen kommen, auch wenn es zunächst einen anderen Hintergrund hat. Vielleicht finden sie ja mehr als ein Pokémon”, wünscht sich der Pfarrer.
Allen Eltern, die Bedenken bei dem Spiel haben, rät der Vater von drei Kindern, mitzumachen. „Oder man lässt es sich wenigstens erklären. Wenn man es verstanden hat, kann man mit seinem Kind auf einer ganz anderen Ebene reden und ihm dann auch die eigenen Bedenken verständlich machen.“ Denn die Monster-Hysterie ist nicht ganz unproblematisch. „Man sieht die Wirklichkeit nur über den Bildschirm. Das kann im Straßenverkehr schon eine Gefahr bergen.“ Auch Kostenfallen in dem zunächst kostenfreien Spiel müssen den Kindern und Jugendlichen deutlich gemacht werden. Und wer ein Pokémon in einer Kirche fangen will, sollte sich bewusst sein, dass es für viele Menschen ein Ort der Einkehr ist.